Auf dem Campingplatz treffe ich Josef aus der Schweiz. Ein echtes Original! Er fährt seit 1985 jedes Jahr für drei bis fünf Monate mit seinem alten Schweizer Postfahrrad durch Island. Damit hält er vermutlich irgendeinen Rekord. Ganz sicher hält er nicht den “schnellster Radfahrer Islands” Rekord. Sein Postvelo hatte damals, als er dieses Rad für ein paar Schweizer Franken gekauft hat nur einen Gang. Er hat es umgebaut und fährt seit dem auf drei Gängen. Im höchsten Gang fährt er ca. 9 km/h mit seinem Rad. In den übrigen Gängen fährt er Schrittempo. Genau kann er es mir nicht sagen, einen Tachometer hat er nicht an seinem Rad. Sein altes Zelt ist mit den Jahren undicht geworden. Er hat es komplett mit Panzerklebeband verstärkt, so war es am Ende fast Lichtundurchlässig und ungewöhnlich windstabil. Allerdings auch ungewöhnlich schwer, ca. 20 kg brachte dieses Unikat auf die Waage. Vermutlich das schwerste 1-Personen Zelt das jemals auf einer Radreise in Island dabeigewesen ist. Mittlerweile hat er sich von diesem Unikat getrennt und sich ein neues (leichteres) Zelt zugelegt. Ca. 90 kg. Gepäck hat er aber immer noch dabei. Er hat vermutlich jede Straße Islands mit dem Rad befahren. Die Hochlandstrecken hat er allerdings zu einem großen Teil ausgelassen. Nur die Kjölur hat er befahren, allerdings zu einer Zeit als die Strecke noch längst nicht so gut ausgebaut gewesen ist wie heute. Damals musste er noch zwei oder drei Furten auf der Strecke bewältigen. Er reist wirklich sehr bewusst und langsam durch Island. Für höhere Pässe plant er manchmal drei Tage ein, wenn er längere Strecken schieben muss baut er die linke Pedale ab damit sie ihn beim Schieben nicht behindert. Er liebt die isländische Landschaft, das Wetter und die Menschen hier. Dieses Jahr hat er sich von seinem geliebten Postvelo getrennt und hat Island mit einem kleinen Auto bereist. Sein Fahrrad steht seit gestern im Technikmuseum von Seyðisfjörður. Es steht nicht in den normalen Ausstellungsräumen. Das Rad finde ich in einer Art Werkstatt, die zum Museum gehört.

Das Rad und die teilweise fest angebauten Fahrradtaschen scheinen nur noch durch Klebeband zusammengehalten zu werden. Diverse Besonderheiten und Speziallösungen fallen mir bei der Begutachtung des Rades auf. Unter der linken Pedale ist ein mit Klebeband befestigter schwerer Klotz angebracht. Ich habe keine Idee wofür das gut sein soll. Josef erklärt mir später am Campingplatz dass dieser Klotz einfach ein Stein ist der nur dafür da ist die Pedale unten zu halten wenn er das Rad kurzzeitig schieben muss, bei längeren Strecken wird die Pedale abgeschraubt.

Josef ist ein sehr herzlicher Mensch der scheinbar sehr viel Lebensfreude aus seinen Islandbesuchen mitnimmt. Ich bin mir sicher, dass er eine Reisebekanntschaft ist mit der man Kontakt hält über viele Jahre. Langsamen Kontakt allerdings, da man auf die elektronische Post verzichten muss und sich mit ihm nur per Brief oder Grußkarte austauschen kann.

Neben meinen Gesprächen mit Josef verbringe ich viel Zeit in der Bibliothek. Dort erfahre ich von der Angestellten einiges über die isländischen Sagas und in dem Zusammenhang über die isländische Genealogie. Das Interesse der Isländer an Ahnenforschung – an Genealogie – ist so groß, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Jeder Isländer kann seinen Stammbaum bis zur Besiedelung Islands zurückverfolgen. Eine Vorfahrin der Bibliothekarin z.B. wurde um 930 n.Chr. in Norwegen von einem reichen Isländer gekauft. Die Norweger hatten sie aus Irland entführt und auf dem Sklavenmarkt verkauft.
In Bibliotheken fühle ich mich mittlerweile richtig wohl. Leider nicht nur ich. Hier in Seyðisfjörður treffe ich auch einen unangenehmen Menschen der alle Menschen um ihn herum ignoriert und stumpf wirkt wie ein Tier. Zwei Schweizer, die mich auch auf der Überfahrt begleiten werden, haben ihn schon in auf einem Campingplatz in Island getroffen. Sie sind sehr überrascht, dass er es von dort nach Seyðisfjörður geschafft hat. Er wirkt immer so, als würde er sich nie wieder von der Stelle bewegen. Sie berichten mir, dass er einen Tag vor seinem Zelt gelegen hat und einen anderen Tag in einem Kaffee ein Telefonbuch druchgeblättert hat….

Hier geht es mir ähnlich. Immer wenn man ihn sieht, denkt man unweigerlich, dass er diesen Platz nie wieder verlassen wird. Keiner versucht auch nur ein Wort mit ihm zu reden, jeder geht ihm aus dem Weg. Nur Josef, in seiner menschenfreundlichen und herzlichen Art geht auf ihn zu und möchte mit ihm reden. Sogar Josef prallt ab, an einer Mauer aus Ignoranz und Desinteresse. Er scheint keinerlei Interesse mehr an Sozialkontakt mit Menschen zu haben.

Die Norröna ist heute schon in Seyðisfjörður angekommen und dominiert den Ort. Allerdings wirkt sie ihrerseits klein und unbedeutend zwischen den gewaltigen umgebenden Bergen. Ich stelle fest, dass ich Island nur sehr ungerne verlasse. Gerne würde ich noch eine Weile hier bleiben, vielleicht auch den ganzen Winter hier verbringen. Das ich wiederkomme steht fest, vielleicht schon im nächsten Jahr.

Josef

Norröna

Technikmuseum in Seyðisfjörður

Das Postrad von Josef

das Postrad von Josef

Josef