Von Norðurfjörður aus per Anhalter wegzukommen ist was für Optimisten.
Das Schwimmbad, Krossenslaug ist ein Magnet für Einheimische und
Touristen, so dass in der Saison am Wochenende vielleicht 20 Autos dort
stehen. Im Moment ist die Saison für diese Gegend gerade vorbei,
wir haben kein Wochenende und ca. 12:00 Uhr. Vermutlich ist gerade
keiner im Schwimmbad. Der Campingplatz Norðurfjörður lockt auch schon
mal ein paar Besucher an. Ich kann aber eindeutig sehen, dass hier
gerade kein einziges Auto steht. Dann ist da noch der kleine Supermarkt
mit Guesthouse und Tankstelle. Das kann ich auch ganz gut vom
Campingplatz aus sehen und auch dort steht kein Auto. Auch der Platz am
Hafen wo Reimer immer anlegt ist, soweit ich das beurteilen kann,
verwaist. Dann gibt es hier noch einen Bauernhof und ein zurzeit
leerstehendes Sommerhaus, ich glaube ein Stück weiter oben stehen noch
ein oder zwei Sommerhäuser. Also grob und optimistisch geschätzt sind
derzeit ca. 3 Autos auf der richtigen Seite.
Um meine Chancen zu erhöhen marschiere ich schon mal los. Schon nach
weniger als einem Kilometer stößt die Straße von Ófeigsfjörður dazu,
damit verdoppeln sich meine Chancen ein Auto zu bekommen.
Ich habe mir ausgerechnet, dass ich bis Holmavik ca. drei Tage laufen
muss, von dort komme ich auf jeden Fall weg. Für drei Tage habe ich auch
Verpflegung dabei.

Nach ca. 1,5 Stunden sind schon drei Autos an mir vorbeigefahren, in der
falschen Richtung, aber die müssen ja irgendwann wieder zurück. Das ist
bei Sackgassen nun mal so.
Da kommt der erste Wagen aus der richtigen Richtung. Er hält!
Der Fahrer, ein Mann mit sehr derbem Gesicht, der beim Sprechen immer
den Eindruck vermittelt er hätte gerade etwas fürchterlich bitter
schmeckendes zwischen den Zähnen zerbissen, meint, ich hätte kaum eine
Chance heute eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Er selber fährt aber
nur zu diesem unaussprechlichen Ort, den man von hier aus schon sehen
kann. Wir einigen uns darauf, dass er mich zum Hotel in Djupavík bringt.
Das ist sehr nett, dafür fährt er hin und zurück mehr als eine Stunde.
Aber diese Entscheidung scheint für ihn eine ganz bittere Pille zu sein,
zumindest wirkt das auf mich so.

Bis zu seinem Haus in Trékyllisvík hält er eine Plastiktüte fest in
einer Hand, ich glaube es sind tote Fische drin, die bringt er ins Haus.
Auf seiner Rückbank liegt jede Menge Kram, unter anderem große Stücke
seltsam geformtes Treibholz. Er kommt zurück und ab geht die Fahrt nach
Djupavík.

Ich stelle mich vor. Er sagt “Krpn” und gibt mir die Hand. Ich versuche
das zu wiederholen. Er buchstabiert ungeduldig “H-R-A-F-N, eben Krpn.
Der große schwarze Vogel! – Rabe – in deutsch, das bin ich!”

Irgendwie muss ich an Krabat denken.

Der Rabe redet kaum und wenn, dann gepresst und abgehackt, ein “Ja” kann
man gut krähen. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich rausschmeißt, wenn
ich zu viel rede, also sage auch ich nicht viel. Wenn ich etwas sage,
dann kurz und knapp und irgendwie mit Witz, ich möchte ihn zum Lachen
bringen. Das gelingt mir auch und er hat ein angenehmes und freundliches
Lachen – zum Glück!

Auf dem Hinweg hatte ich auf dem letzten Stück einen Fahrer, der mir auf diesen sandigen und unübersichtlichen Schotterpisten mit den Klippen die teilweise knapp neben der Straße anfangen und dem erheblich tiefer liegendem Meer, etwas zu schnell unterwegs gewesen ist. Der Rabe fährt doppelt so schnell, also
teilweise über 100 km/h, aber er ist auch sehr auf die Straße
konzentriert. Er scheint für jede Kurve die maximal mögliche
Geschwindigkeit in jahrelangen Testfahrten ermittelt zu haben und sich
sehr gut mit Roll und Haftreibungsbeiwerten auszukennen. Zumindest nutzt
er sie auf dieser sandigen Straße bis zur äußersten Grenze aus. Ein
wenig schneller und wir fliegen aus der Kurve, was hier gar nicht lustig
ist. Nachdem ich mich entschlossen habe ihn nicht zu bitten anzuhalten
und mich doch lieber laufen zu lassen, versuche ich einen gelassenen
Eindruck zu vermitteln und nicht alle 30 m das Bodenblech durchzutreten.
Eine Aufgabe die meine volle Konzentration erfordert.

In Djupavík angekommen springt er ohne ein Wort zu sagen aus dem Auto
und rennt ins Hotel. Ich schnappe mir meinen Rucksack und steige
erleichtert, auch diese Fahrt überstanden zu haben, aus. Gerade will ich
ihm ins Hotel folgen, da kommt er auch schon wieder zurück, springt in
sein Auto und rast davon. Er fährt zu einer Frau die gerade auf dem
Parkplatz vor dem Hotel in ihr Auto steigt, ich gehe hinterher. Der Rabe
kommt zurückgerast und sagt mir, dass die Frau jetzt nach Holmavík fährt
und mich mitnimmt, aber ich soll mich beeilen. Ich kann mich während er
an mir vorbeifährt gerade noch bedanken und schon tritt er wieder aufs
Gas und ist verschwunden. Das war der liebste und hilfsbereiteste Rabe
den ich kenne.
Ich laufe zu der Frau und steige ein. Sie ist die Hotelbesitzerin von
Djupavík und sie meint “Ich bin fast eine Stunde zu spät dran für meinen
Zahnarzttermin in Holmavík, mach besser die Augen zu, ich werde sehr
schnell fahren müssen!” …..

Von Holmavík aus habe ich den Bus genommen bis Brú und von dort weiter
per Anhalter nach Akureyri, direkt auf den Campingplatz.

Norðurfjörður

Hier noch mal ein Bild von der Hinfahrt, so in etwa sieht die Straße aus nur haben wir heute zum Glück gutes Wetter. Gegenverkehr ist selten, kommt aber vor.

Straße nach Djúpavík