Island


In der noch von der Hinfahrt gut im Gedächtnis gebliebenen, bienenwabenähnlichen Liegekabine treffe ich nach und nach meine Zimmergenossen. Ein Elektriker, der acht Jahre gearbeitet hat und ein Sabbatjahr machen wollte das ihm verwehrt wurde. Kurzentschlossen hat er daraufhin seinen Job gekündigt und ist nach Hanstholm zum Kitesurfen gefahren. Dort hat er sich spontan nach Island eingeschifft. In Island hat er dann eine Anhalterin mitgenommen, sich von ihr zu einer Woche Arbeit auf einer Schaffarm übereden lassen und ist jetzt mit dieser Anhalterin auf dem Weg zurück nach Hanstholm. Die Anhalterin ist gebürtige Russin und von Moskau bis Hanstholm getrampt und dann mit der Norröna nach Island gefahren um dort zuerst irgendeinen Fjord von Unrat zu reinigen und anschließend auf verschiedenen Schaffarmen zu jobben. Sie ist jetzt auf dem Weg zurück nach Moskau. Ein “Trendsportler” der sein Leben damit verbringt Motorcross, Mountainbike und Kajak zu fahren, Gleitschirm und Drachen zu fliegen und auf auf Berge zu klettern. Er hat irgendwann mal Geographie studiert und jobt gelegentlich als Reiseleiter. Ein Motorcrossfahrer der in Island ein Rennen organisiert, gefahren und gewonnen hat und jetzt auf dem Weg zurück ist. Dann ist da noch ein Italiener, der nur kurz seine Sachen ablegt und sich nicht auf die “Interviewfragen” der sehr kommunikativen und redseligen Russin einlässt. Als weiterer Gast betritt eindrucksvoll, raumfüllend, “scheinbar?” schlecht gelaunt und ohne ein Wort der seltsame Mann aus Seyðisfjörður die Kabine. Er wuchtet seinen massigen Körper auf eine der mittleren Liegen und stimmt schon knapp zwei Minuten später ein rohrbruchartiges Schnarchkonzert an. Ich werde es mir wohl wieder irgendwo auf den Gängen des Schiffes gemütlich machen. Die Anhalterin, trifft dann noch einen Mann den sie in Island kennengelernt hat und der sich ganz fest in den Kopf gesetzt hat sie zu heiraten. Nachdem er mich einmal mit ihr gesehen hat werde ich in den nächsten Tagen gewissermaßen zu seinem bevorzugten “Ansprechpartner”. Mal fragt er etwas aggressiv nach ihr, mal schwärmt er von ihr, mal jammert er ein wenig über dies und das, manchmal kann ich ihn auch einfach nicht mehr verstehen, weil er zu betrunken ist um deutlich zu sprechen. Sie macht es noch besonders spannend und berichtet geradezu grausige Geschichten von ihm.

Ich verbringe den Abend im Viking Club mit Urs und Ghislain. Die beiden Schweizer sind in den letzten 4 Monaten durch verschiedene Europäische Länder gereist. Die meiste Zeit haben sie in Island verbracht. Die beiden sind sehr angenehme Gesprächspartner und wir genießen gemeinsam den Abend in der Bar, trinken Bier und schauen uns die täglich stattfindende Tanzvorführung an. Nicht schlecht was einem hier an Bord so alles geboten wird.

Abfahrt

eingereiht

Norröna

Tanzvorführung im Viking Club

Tanzvorführung im Viking Club

Auf dem Campingplatz treffe ich Josef aus der Schweiz. Ein echtes Original! Er fährt seit 1985 jedes Jahr für drei bis fünf Monate mit seinem alten Schweizer Postfahrrad durch Island. Damit hält er vermutlich irgendeinen Rekord. Ganz sicher hält er nicht den “schnellster Radfahrer Islands” Rekord. Sein Postvelo hatte damals, als er dieses Rad für ein paar Schweizer Franken gekauft hat nur einen Gang. Er hat es umgebaut und fährt seit dem auf drei Gängen. Im höchsten Gang fährt er ca. 9 km/h mit seinem Rad. In den übrigen Gängen fährt er Schrittempo. Genau kann er es mir nicht sagen, einen Tachometer hat er nicht an seinem Rad. Sein altes Zelt ist mit den Jahren undicht geworden. Er hat es komplett mit Panzerklebeband verstärkt, so war es am Ende fast Lichtundurchlässig und ungewöhnlich windstabil. Allerdings auch ungewöhnlich schwer, ca. 20 kg brachte dieses Unikat auf die Waage. Vermutlich das schwerste 1-Personen Zelt das jemals auf einer Radreise in Island dabeigewesen ist. Mittlerweile hat er sich von diesem Unikat getrennt und sich ein neues (leichteres) Zelt zugelegt. Ca. 90 kg. Gepäck hat er aber immer noch dabei. Er hat vermutlich jede Straße Islands mit dem Rad befahren. Die Hochlandstrecken hat er allerdings zu einem großen Teil ausgelassen. Nur die Kjölur hat er befahren, allerdings zu einer Zeit als die Strecke noch längst nicht so gut ausgebaut gewesen ist wie heute. Damals musste er noch zwei oder drei Furten auf der Strecke bewältigen. Er reist wirklich sehr bewusst und langsam durch Island. Für höhere Pässe plant er manchmal drei Tage ein, wenn er längere Strecken schieben muss baut er die linke Pedale ab damit sie ihn beim Schieben nicht behindert. Er liebt die isländische Landschaft, das Wetter und die Menschen hier. Dieses Jahr hat er sich von seinem geliebten Postvelo getrennt und hat Island mit einem kleinen Auto bereist. Sein Fahrrad steht seit gestern im Technikmuseum von Seyðisfjörður. Es steht nicht in den normalen Ausstellungsräumen. Das Rad finde ich in einer Art Werkstatt, die zum Museum gehört.

Das Rad und die teilweise fest angebauten Fahrradtaschen scheinen nur noch durch Klebeband zusammengehalten zu werden. Diverse Besonderheiten und Speziallösungen fallen mir bei der Begutachtung des Rades auf. Unter der linken Pedale ist ein mit Klebeband befestigter schwerer Klotz angebracht. Ich habe keine Idee wofür das gut sein soll. Josef erklärt mir später am Campingplatz dass dieser Klotz einfach ein Stein ist der nur dafür da ist die Pedale unten zu halten wenn er das Rad kurzzeitig schieben muss, bei längeren Strecken wird die Pedale abgeschraubt.

Josef ist ein sehr herzlicher Mensch der scheinbar sehr viel Lebensfreude aus seinen Islandbesuchen mitnimmt. Ich bin mir sicher, dass er eine Reisebekanntschaft ist mit der man Kontakt hält über viele Jahre. Langsamen Kontakt allerdings, da man auf die elektronische Post verzichten muss und sich mit ihm nur per Brief oder Grußkarte austauschen kann.

Neben meinen Gesprächen mit Josef verbringe ich viel Zeit in der Bibliothek. Dort erfahre ich von der Angestellten einiges über die isländischen Sagas und in dem Zusammenhang über die isländische Genealogie. Das Interesse der Isländer an Ahnenforschung – an Genealogie – ist so groß, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Jeder Isländer kann seinen Stammbaum bis zur Besiedelung Islands zurückverfolgen. Eine Vorfahrin der Bibliothekarin z.B. wurde um 930 n.Chr. in Norwegen von einem reichen Isländer gekauft. Die Norweger hatten sie aus Irland entführt und auf dem Sklavenmarkt verkauft.
In Bibliotheken fühle ich mich mittlerweile richtig wohl. Leider nicht nur ich. Hier in Seyðisfjörður treffe ich auch einen unangenehmen Menschen der alle Menschen um ihn herum ignoriert und stumpf wirkt wie ein Tier. Zwei Schweizer, die mich auch auf der Überfahrt begleiten werden, haben ihn schon in auf einem Campingplatz in Island getroffen. Sie sind sehr überrascht, dass er es von dort nach Seyðisfjörður geschafft hat. Er wirkt immer so, als würde er sich nie wieder von der Stelle bewegen. Sie berichten mir, dass er einen Tag vor seinem Zelt gelegen hat und einen anderen Tag in einem Kaffee ein Telefonbuch druchgeblättert hat….

Hier geht es mir ähnlich. Immer wenn man ihn sieht, denkt man unweigerlich, dass er diesen Platz nie wieder verlassen wird. Keiner versucht auch nur ein Wort mit ihm zu reden, jeder geht ihm aus dem Weg. Nur Josef, in seiner menschenfreundlichen und herzlichen Art geht auf ihn zu und möchte mit ihm reden. Sogar Josef prallt ab, an einer Mauer aus Ignoranz und Desinteresse. Er scheint keinerlei Interesse mehr an Sozialkontakt mit Menschen zu haben.

Die Norröna ist heute schon in Seyðisfjörður angekommen und dominiert den Ort. Allerdings wirkt sie ihrerseits klein und unbedeutend zwischen den gewaltigen umgebenden Bergen. Ich stelle fest, dass ich Island nur sehr ungerne verlasse. Gerne würde ich noch eine Weile hier bleiben, vielleicht auch den ganzen Winter hier verbringen. Das ich wiederkomme steht fest, vielleicht schon im nächsten Jahr.

Josef

Norröna

Technikmuseum in Seyðisfjörður

Das Postrad von Josef

das Postrad von Josef

Josef

Der Bus fährt pünktlich um 7:20 Uhr ab. Ein langezogenes und sehr ausdrucksstarkes Jau (gesprochen “Jaauuhh”) ist das einzige Wort das ich, wenn der Busfahrer redet, zweifelsfrei identifizieren kann. Trotzdem soll ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen damit wir uns besser unterhalten können. Eine Aufgabe, die mich eindeutig überfordert. Im nächsten Ort steigen glücklicherweise Isländer zu und übernehmen diese Aufgabe für mich. In Eglistaðir steige ich um und fahre direkt nach Seyðisfjörður weiter.

Theoretisch sollte hier bei der Post das Carepaket von Achim auf mich warten….

Mit einem Einkaufswagen ausgerüstet gehe ich hoffnungsvoll zur Post. Dort frage ich vorsichtig und etwas skeptisch nach einem Paket für mich und sie zaubern es tatsächlich hervor. Gegen eine Zollgebühr von ca. 20,- Euro kriege ich es sogar ausgehändigt. Die Zollgebühr ist für die Einfuhr von Wein und Lebensmitteln nach Island… schon blöd, dass ich in zwei Tagen mit der Fähre zum Festland aufbreche.

Heute ist also Bescherung, ich darf das Paket auspacken! Eine Bestandsaufnahme ergibt dass nichts fehlt, abgesehen von zwei großen Salamistangen…. Ne Is Klar! Mit zwei Laib Brot a 1000 Gramm geben die bestimmt erstklassige Hot Dogs ab!

Nach dem etwas enttäuschenden Ende des Islandabenteuers für dieses Jahr kommen mir Wein und Schokolade jetzt sehr gelegen. Danke Achim!

Ich lasse mich auf dem Campingplatz nieder. Zum ersten Mal seit ich in Island bin muss ich für eine Dusche bezahlen. 100 ikr für 2 Minuten Duschzeit. Schon während ich die Münze einwerfe weiß ich, dass ich diese Dusche sehr unzufrieden wieder verlassen werde. Nachdem ich mich hier also kurz, aber sehr bewusst, geärgert habe, setze ich mich erfrischt und munter auf die Wiese vor meinem Zelt und genieße das sommerliche Wetter. Völlig überraschend ist die Temperatur auf 20 °C gestiegen und ich kann mich in die Sonne legen. Es bleibt sogar nach Sonnenuntergang so warm, dass ich noch lange draußen sitzen und den Tag ausklingen lassen kann.

Das Paket

Das Paket

Das Paket

Sonntags haben Supermarkt, Tankstelle und Hotel geschlossen. Jetzt gibt es wirklich nichts mehr, was mich davon ablenken könnte wichtige Dinge zu erledigen. Mein Kocher wird sehr gründlich gereinigt und von seiner Verstopfung befreit. Das Fahrrad wird überaus gründlich geputzt. Dabei stelle ich leider mehrere Bruchstellen an der Hinterradfelge fest.

Ich genieße diesen ruhigen und beschaulichen Tag, gehe viel spazieren und beobachte das sonntägliche Treiben hier in Breidalsvík.

Camping in Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Der Supermarkt hat samstags von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet. Die nette ältere Verkäuferin ist nicht sehr gesprächig und Englisch spricht sie leider gar nicht. Post und Sparkasse haben samstags selbstverständlich geschlossen. Das Schwimmbad und das Steinmuseum haben während der Wintermonate geschlossen und bei der Autowerkstatt kann ich heute auch niemanden finden.

Das Kommunikationszentrum der Stadt ist die Tankstelle. Wie der Supermarkt von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet kann man hier auch fast alles kaufen was es auch im Supermarkt gibt. Eine Tasse Kaffee und ein Schwätzchen mit dem Tankstellenmann gibt es gratis dazu und ist scheinbar Bedingung für einen Einkauf. In meinem Fall fällt das Schwätzchen recht kurz aus. Der Tankstellenmann spricht zwar ein wenig Englisch, aber es scheint ihn anzustrengen und er versucht es zu vermeiden.

Das Hotel öffnet um 17:00 Uhr. Im Hotel gibt es ein Schnellimbiss-Restaurant und einen Kiosk. Am Kiosk bekommt man das gleiche wie in der Tankstelle inklusive Gratis-Kaffee und Schwätzchen mit dem Tankstellenmann. Er macht nämlich um 17:00 Uhr den Kiosk in der Tankstelle dicht und den im Hotel auf. Hier sitzt er jetzt und trinkt weiter Kaffee, sieht fern und hat fast genauso viel zu tun wie von 11:00 bis 17:00 Uhr (≈ Nichts)

Gegen Abend setzt er sich zu mir und zeigt doch noch Interesse an einer Unterhaltung. Er ist weder wortkarg noch unfreundlich, er ist einfach unglaublich müde. In den letzten 100 Tagen hat er nicht einen Tag frei gehabt. Im Sommer werden hier hunderte von Touristen Tag für Tag hingebracht. Sie bleiben dann zum Mittagessen oder über Nacht im Hotel.

Der Unterschied zwischen Sommer- und Winterbetrieb ist hier in Breidalsvík enorm.

Stockfisch

Breidalsvík

Superjeep
Ätsch!

Der Tag fängt ganz normal an. Etwas Regen und jede Menge Gegenwind. Der Wind lässt dann allerdings mit der Zeit nach und nach einem Richtungswechsel habe ich dann sogar Rückenwind. Das ist herrlich, heute kann ich mal ordentlich Strecke machen… Knack!!!

Knack? Stop! Das hat sich gar nicht gut angehört. Was ist passiert? Ich kann keinen Schaden feststellen und setze mich wieder aufs Rad, nur fahren kann ich leider nicht. Der Hinterreifen steht schief und hat sich am Rahmen verklemmt. OK, wenn es weiter nichts ist, aber was war das für ein Knack?

Gepäck runter, Rad umdrechen, Schnellspanner lösen …. Wo ist der Schnellspanner? Ach da, auf der anderen Straßenseite, zumindest die eine Hälfte.

Ersatz habe ich nicht dabei, auch kein Schweißgerät, aber ich hatte doch irgendwo,… ja da ist sie ja! Eine Tafel Pfefferminzschokolade! Der Tag ist gerettet! Auf die richtige Ausrüstung kommt es an.

Mit einem Kabelbinder kriege ich das Rad soweit zusammengehalten, dass ich schieben kann. Der nächste Ort ist zum Glück nur 15 km entfernt. Auf dem Weg dahin versuche ich per Anhalter mitgenommen zu werden, aber von den drei Pick Ups und drei Lastwagen hält keiner an.

In Breidalsvík habe ich dann wirklich Glück. Der Campingplatz hat beheizte Waschräume und ist nicht kostenpflichtig, schon am Montag morgen um 7:20 Uhr fährt ein Bus nach
Egilsstaðir, mit dem Busfahrer kann ich sofort telefonieren und der nimmt sogar mein Rad mit, das Schwimmbad hat zwar geschlossen, aber ich darf dort den Hot Pot benutzen während eine Schulklasse hier gerade Schwimmunterricht hat.

In einer Autowerkstatt frage ich noch halbherzig und erfolglos nach einer Gewindestange mit der ich das Rad wieder notdürftig zusammenbasteln könnte.

In den kommenden Tagen werde ich Gelegenheit haben mir diesen Ort sehr genau anzuschauen.

Notreparatur

Der Weg nach Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Breidalsvík

Heute fahre ich direkt mit Sonnenbrille los. Natürlich nicht weil die Sonne scheint, sondern um meine Augen zu schützen. Seit den stürmischen Winden von Vík schmerzen mir die Augen, jetzt versuche ich sie etwas zu schützen in der Hoffung das es damit besser wird.

Die sehr wellige Strecke schlängelt sich durch eine gewaltige Landschaft die eine gute Kulisse für einen Fantasyfilm abgeben könnte. In Djúpivogur mache ich kurz Station. Djúpivogur ist ein verschlafenes Nest wo nicht besonders viel los ist. Ein Kaffee-Imbiss-Kiosk, ein geschlossenes Infocenter, ein Hotel (mit öffentlichem Telefon) und ein Supermarkt (mit unfreundlichem Kassierer).

Nach und nach regnet es sich ein. Nach und nach wird es windiger. Zunächst fahre ich mit dem Wind bzw. seitlich zum Wind. Dann kommt der Wind wieder direkt von vorne. In Djúpivogur habe ich mir noch die Wetter- und Windvorhersage angeschaut. Der Wind kann entweder nicht lesen oder sieht nicht im mindesten ein sich daran zu halten. Wofür machen die Leute vom Wetterdienst sich eigentlich die Mühe, wenn der Wind doch macht was er will. Ich verstehe das nicht. Es gibt eine vorgeschriebene Windrichtung für heute und der Wind hat sich gefälligst dran zu halten. Derart undisziplinierte Winde haben wir in Deutschland nicht.

Regen und Wind werden grausig. Es wird dunkel, kalt und richtig ungemütlich. Ich sehe fast nichts mehr und muss auch schon wieder schieben. Völlig durchnässt schiebe ich mein Rad über Stunden gegen den Wind, der eigentlich von hinten kommen sollte. Weit und breit finde ich keinen halbwegs akzeptablen Zeltplatz. Es wird empfindlich kalt und außer grauer, regennasser Fahrbahn sehe ich nicht mehr viel. Zunächst schiebe ich noch mit ruhiger Gelassenheit, aber je länger ich auf diese Art “vorwärts krieche” desto mehr verlassen mich meine Kräfte. Es ist schon dunkel, als ich endlich einen guten Platz im Straßengraben finde.

Ringstraße im Südosten

Rentiere

Djúpivogur

Kirche in Djúpivogur

Stockfisch

Schafe

Berg im Nebel

Am Morgen treffe ich hier auf dem geschlossenen Campingplatz zwei russische Radfahrer. Sie kommen gerade von Landmannalauger, wo sie breite Furte im Schnee durchquert haben. Sie erzählen herrlich komisch von den eiskalten Furten, dem mörderischen Wind und den schlechten Straßen. Die Kommentare der beiden sind köstlich. Leider kann ich davon nichts wiedergeben, da ich in diesem gepresst gequetschten russischen Tonfall nicht schreiben kann. Sie kommen aus Sibirien, leben aber zur Zeit irgendwo in Afrika. Sie warnen mich noch, jetzt bloß nicht weiterzufahren. Es soll Regen geben! Ganz schlimmen Regen!

Regen???? Wo ist das Problem? Ist starker Regen in Island vielleicht gekoppelt mit starkem isländischem Wind?

Natürlich fahre ich trotzdem los und habe auch den ganzen Tag über akzeptable Bedingungen. Das Wetter ist rauh, kalt, windig und ungemütlich eben isländisch normal. Alles ist gut :-)
Auf den Wetterbericht kann man sich hier eben wirklich nicht verlassen. Das schlechte Wetter kommt bestimmt morgen.

Während ich an einem großen See vorbei fahre wünsche ich mir Singschwanjäger zu sein. Tausende dieser großen Vögel bevölkern diesen See. Immer wieder kann ich eindrucksvolle Wasserstarts beobachten.

Die Ringstraße ist hier streckenweise noch geschottert und der Weg an der Steilküste entlang ist in hohe bedrohliche und steile Aschekegel geschnitten. Die Warnungen vor Steinschlag sollte man hier sehr ernst nehmen. Immer wieder sehe ich fußballgroße Brocken auf der Straße. An manchen Stellen kann man gut sehen, dass hier der Hang über die Straße gerutscht und erst vor kurzem wieder freigeräumt wurde.

Lastwagen, die mir auf dieser Strecke entgegenkommen, wirbeln ein Staub-Sand-Schotter-Gemisch auf das vom Seitenwind genau in meine Richtung geblasen wird. Die Lastwagen mit dieser Staub-Sand-Schotter-Fahne sind so bedrohlich wie sie aussehen. Wenn eine solche Dreckschleuder sich ungebremst nähert hillft nur eins. Absteigen, dem Monster den Rücken zuwenden, die Kapuze schützend aufsetzen und gut zuziehen, das Rad gut festhalten und das Geprassel der Steine im Rücken ruhig abwarten. Dann die Augen wieder aufmachen.

Die Schutzhütte, an der ich vorbeikomme ist mit schweren Ketten verankert. Bei dem Wind, der mich hier wieder fast von der Straße fegt weiß ich genau warum das so ist.

Ein Stück weiter finde ich etwas abseits der Straße ein traumhaft schönes Tal. In wunderschönen Herbstfarben sieht dieses Tal so unwirklich aus, dass ich fest damit rechne heute Nacht mitten in einer großen Versammlung von Elfen und Trollen aufzuwachen.

Ringstraße im Südosten

Singschwäne

Singschwäne

Ringstraße im Südosten

Ringstraße im Südosten

Ringstraße an der Küste im Südosten

Ringstraße im Südosten

angekettete Rettungshütte

in diesem Tal leben Elfen und Trolle

Der Bus kommt erst recht spät am Tag, mir bleibt viel Zeit das schöne Örtchen Vík bei gutem Wetter zu genießen. Die Sonne scheint, es ist warm und es weht kein Lüftchen.

Der Busfahrer schaut sich mein Rad und mein Gepäck an und meint “Ich kann Sie mitnehmen, aber nicht das Rad.” Das meint er ernst, das ist kein Scherz. Ich erkläre ihm unmissverständlich, dass ich mein Rad ganz sicher nicht hier stehen lasse und es dann doch noch mal mit dem Rad versuchen werde nach Höfn zu kommen. Der Bus, ein kleiner VW-Bus, ist wirklich ziemlich voll, aber natürlich kriegen wir das Rad doch noch hinein. Der Busfahrer benimmt sich so, als sollte ich ihm dankbar sein. Das kann er vergessen.

Das “Nichst” auf dem Weg nach Höfn ist schon faszinierend, aber es verändert sich auf den ca. 270 Kilometern nur unwesentlich und es sind ziemlich lange Teilstücke dazwischen auf denen man mit dem Rad vermutlich gar nicht mehr merkt, dass man sich vorwärts bewegt. Das ganze mit ein wenig Wind gewürzt und am besten bei Nebel und Regen und die Strecke kann zu einer ziemlichen Belastungsprobe werden, vor allem für die Psyche.

Am Jökulsárlón möchte ich anhalten, um wenigstens ein Foto von diesem wunderbaren Gletschersee zu machen. Der Busfahrer hat da überhaupt keine Lust zu, ich bestehe hartnäckig darauf und ich glaube man muss dunkle von Blitzen durchzogene Gewitterwolken über meinem Kopf sehen. Er gibt schließlich nach, hält an und gönnt mir gnädig drei Minuten für meine Fotos. Die Flammen die mir in dem Moment aus den Augen kommen erlöschen draußen in der Eiseskälte kaum daß ich den Bus verlassen habe. Nach der langen Fahrt unbeweglich im warmen Bus halte ich es hier kaum länger als drei Minuten aus. Der Jökulsárlón ist ein wunderschöner Gletschersee der durch Schmelzwasser des Vatnajökull gespeist wird. Der See wächst ständig und wird sich schon in vielleicht 20 Jahren zum Meer hin öffnen. Der Anblick der auf dem See schwimmenden Eisbrocken ist gewaltig.

In Höfn kommen wir im Dunkeln an, der Fahrer muss jetzt die ganze Strecke nach Reykjavík zurück, so langsam verstehe ich, dass er es so eilig hatte. Ich finde einen geschlossenen Campingplatz, mache mir was zu essen und freue mich morgen wieder radfahren zu können.

Jökulsárlón

Geschlafen habe ich eh nicht heute Nacht, da kann ich dann auch wenigstens früh aufstehen. Das Zelt ist abgebaut und eingepackt und ich mache mich auf den Weg kaum das die ersten Sonnenstrahlen über den Bergen auftauchen. Die Zeltstangen haben sich jetzt so auf die schnelle nicht wieder richtig gerade biegen lassen, da werde ich mir heute Abend nochmal Zeit für nehmen müssen. Auf den nächsten 75 Kilometern rechne mir kaum Chancen aus einen windgeschützten Platz zum Zelten zu finden. Wenn ich dem Wind von heute Nacht ungeschützt ausgesetzt bin brauche ich gar nicht erst zu versuchen im Zelt zu schlafen. Windstill wird es heute ganz sicher nicht werden. Also los und rein in den Kampf.

Der Kampf ist ein Witz. Völlig aussichtslos stelle ich mich gegen den Wind und es dauert nicht lange bis ich mich geschlagen geben muss. Genau an der gleichen Stelle wie gestern geht gar nichts mehr. Wenn der Wind so bleibt und ich den ganzen Tag weiterkämpfe schaffe ich vielleicht 750 Meter – ganz sicher nicht mehr. Selbst wenn ich jetzt hier warte und in die Mýrdalssandur reinfahre sobald der Wind nachlässt habe ich vermutlich nur wenig davon. Ich brauche mindestns zwei Tage “normale” Bedingungen, um erst die Mýrdalssandur und dann die noch längere Strecke durch die Skeiðarársandur zu durchqueren. Mit normalen Bedingungen rechne ich nicht mehr.

Zweimal bin ich jetzt hier zurückgedrängt worden, ich fahre zurück und versuche einen Bus nach Höfn zu kriegen. Matthias hatte mir das schon auf der Norröna empfohlen. Die Fahrt durch die ca. 700 Quadratkilometer große Sandebene und die folgende, noch größere Skeiðarársandur ist wirklich eine wenig abwechslungsreiche Fahrt durch ein nicht enden wollendes Nichts. In Island habe ich die Erfahrung gemacht das “Nichts” ziemlich eindrucksvoll sein kann und ich wollte mir auch dieses “Nichts” mal persönlich anschauen, um mir ein Bild davon machen zu können. Schade, aber bei meinem nächsten besuch in Island bin ich wieder hier! Ganz sicher!

Ich fahre zurück nach Vík. Der nächste Bus fährt glücklicherweise schon Morgen. Immerhin zwei Busse fahren die Strecke von Vìk nach Höfn pro Woche. Mensch hab ich ein Glück!

Camping in Vík

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