Kjölur


Als ich aufwache sieht das Wetter noch freundlich aus, bis ich alles gepackt
habe und losfahre regnet es wieder in Strömen, ich stehe in dichtem Nebel und
mir weht ein Windchen entgegen, das mich gelegentlich wieder zum Schieben
zwingt, meist kann ich so gerade noch fahren. Gute Entscheidung, gestern ein
paar Kilometer mehr zu machen.

Den Nebel fotografiere ich nicht mehr ganz so oft, irgendwie lohnt das nicht. Richtung
Gullfoss klart es immer weiter auf. Das letzte Stück ist asphaltiert und geht
bergab. Meine Hoffnung hier wieder einigermaßen normal fahren zu können wird leider enttäuscht. Trotz dieser Bedingungen lässt der Wind auch bei höchstem Kraftaufwand nicht viel mehr als Schrittgeschwindigkeit zu.

Am Gullfoss scheint die Sonne, ein Blick zurück zeigt mir aber, dass das Wetter
im Hochland unverändert ist. Jemand hat mir mal erklärt, wie das mit dem
Wetter hier in Island funktioniert. Kommt der Wind von Norden, ist im Norden
Regen, kommt der Wind von Süden, ist im Süden Regen. Das ist so, weil die
Wolken am Hochland hängen bleiben. Wenn man das zu Ende denkt, dann ist im
Hochland immer Regen?

Kjölur im Nebel bei Regen

Der e4rste Blick aus dem Nebel

fast am Gullfoss

Gullfoss

Es geht weiter.
Heute kann ich langsam fahren. Es regnet fast durchgängig und die Sicht ist überwiegend nicht vorhanden. Ich sehe ein Stück grau-schwarzer Straße in grau-schwarzer Landschaft, das ganze in dichtem grauen Nebel bei Regen durch beschlagene Brillengläser. Als Erlebnis ist das eindrucksvoll und meine Laune bleibt, wie auch bisher auf der Kjölur bestens, der sightseeing Wert ist allerdings gleich Null.

Die Gletscherzunge Norðurjökull am Hvitárvatn bekomme ich zum Glück ansatzweise zu sehen, da es gerade etwas aufklart als ich vorbeifahre. Ich fahre unter diesen, verhältnismäßig guten Bedingungen (ich kann fahren!) soweit wie möglich. Wenn der Wind in den nächsten Tagen wieder stärker wird stecke ich sonst in Schwierigkeiten, weil mir schlicht das Essen ausgeht. Ich fahre gut 60 km bis zu der Stelle, wo die Straße zwischen dem Geldingafell und dem Bláfell noch mal auf über 600 m ansteigt. In etwa auf halber Höhe suche ich mir einen Zeltpaltz. Da es recht stark regnet und windet, tue ich mich schwer einen geeigneten Platz zu finden, wo ich weder Gefahr laufe in einer Pfütze aufzuwachen, noch befürchten muss bei stärker werdendem Wind davongeweht zu werden und obendrein der Untergrund eingigermaßen eben ist.

Kjölur im Regen

Kjölur im Nebel

Kjölur

Norðurjökull

Kjölur

Bláfellsháls nahe Geldingafell

Die Schaftreiber stehen schon vor 6:00 Uhr auf “Respekt!”. Ich bin eh schon wach (eigentlich noch), wegen der heulenden Hunde, und setze mich als das Treiben in der Küche etwas nachlässt in eine ruhige Ecke, trinke Kaffee und schreibe ein wenig. Heute geht der Tagesausflug nach Þjófadalir mit einer kombinierten Wanderung
auf den Rauðkollur.

Die 12 km hin zum Ausgangspunkt der Bergwanderung sind wegen Gegenwind und Straßenbeschaffenheit richtig anstrengend und dauern mehr als 2 Stunden. Schlamm kann sich, kombiniert mit Steinen, so böse unter das Schutzblech klemmen, dass das Rad komplett blockiert. Diese zementartige Masse lässt sich dann auch gar nicht so einfach entfernen, aber es lohnt sich, das Radfahren wird etwas erleichtert.

Die Wanderung auf den Rauðkollur ist bei guter Sicht wirklich lohnend. Faszinierende Farben und ein toller Blick auf die umgebende Landschaft und die Gletscher Hrútfellsjökull und Langjökull. Wenn die Sicht noch besser ist kann man wohl auch noch den Hofsjökull sehen.

Aussicht beim Aufstieg

Aussicht beim Aufstieg

Langjökull

Aussicht beim Aufstieg

Aussicht beim Aufstieg

Blick auf Þjófadalir mit Hütte

Aussicht beim Aufstieg

Hrútfell

In der Hütte fühle ich mich mittlerweile recht wohl. Die Hütte ist dreigeteilt, ein unangenehm ekliger Eingangsbereich, das recht manierlich “Wohnzimmer” in dem ich auch geschlafen habe und das Schlafzimmer. Der Eingangsbereich ist bitter, Müll, Tassen voller Zigarettenkippen der letzten drei Monate, eine Tasse voll mit pelzigem Schimmel, die erwähnte “Emergency toilet”, die Bibel ist zerissen und vermutlich als Klopapier missbraucht, das Gästebuch ist gar nicht mehr vorhanden, der erste Hilfe Koffer ist mehr oder weniger leer und das was noch da ist ist unbrauchbar, nass und verschimmelt. Das Wohnzimmer ist ganz OK, ich habe es mir recht gemütlich gemacht, den Tisch abgewischt, einmal durchgefegt und ne Kerze aufgestellt. Hier fühle ich mich wohl. Von da geht es ins Schlafzimmer. Das ist abgesehen von den aufgeschnittenen Betten auch OK.

Der Wind hat nicht wirklich nachgelassen und lässt die Hütte immer noch erzittern, aber die Sonne scheint und es verspricht ein warmer Tag zu werden. Die Männer gestern meinten, dass der Wind heute den ganzen Tag über so bleibt. Ich habe die Wahl einen Tag in der Hütte zu verbringen oder ca. 20 km gegen den Wind nach Hveravellir zu schieben. 20 km schieben sollte in acht Stunden zu schaffen sein, auch bei bittersten Verhältnissen. Wenn es gar nicht mehr geht, kann ich immer noch zelten, vielleicht kommt dann ja auch wieder ein Auto vorbei.
Also los, das Rad gegen den Wind zu schieben fühlt sich zeitweise so an, als würde ich ein Auto anschieben. Seitenwind ist fast noch anstrengender. Möglichst ohne mich zu verausgaben und mit der, hier dringend erforderlichen Gelassenheit geht es Meter für Meter voran. Die Sonne scheint, die Sicht ist super und die Strecke schön. Leider sehe ich fast ausschließlich den Meter Straße vor meinem Rad, da ich den Kopf geneigt halte um keinen Sand in die Augen zu bekommen. Fotografieren kann ich hier leider fast gar nicht, da ich die Kamera nicht rausholen kann ohne das Rad hinzulegen und sehr aufzupassen, dass mir nichts aus der Lenkertasche geweht wird.
An einer Stelle stoße ich auf zwei zusammenfließende Flüsse. Der eine ist klar, der andere führt Sedimente mit sich. Das ist dann doch mal den Aufwand Wert die Kamera herauszuholen. An dieser Wasserstelle stoße ich auf eine kleine ruhende Herde Schaftreiber, die sich hier mit ihren Hunden und Pferden (2 pro Treiber) einen windgeschützten Ruheplatz gesucht haben. Bei meiner Annäherung verhalten sie sich überhaupt nicht scheu, eher neugierig und geben mir sogar von ihrem Futter (Cognac) ab. Sie sitzten hier und warten auf Schafe, die aus dem Osten in Richtung Straße getrieben werden, um diese dann weiter nach Norden zu treiben.

Ich erreiche Hveravellier verhältnismäßig zügig und genieße erst mal ausgiebig den natürlichen Hot-Pot. Die Schaftreiber übernachten auch hier, was für eine unruhige Nacht spricht. Bei etwas abgeflautem Wind schlage ich mein Zelt auf, umringt, beobachtet und etwas genervt von ca. 25 Treiber Hunden, die mein Zelt und alles was ich irgendwo hinlege, jeder einzeln, sehr genau unter die Lupe nehmen, über das noch nicht aufgebaute Zelt laufen, hier ein wenig zupfen und das eine oder andere Teil versuchen mitzunehmen. Trotz Wind und Hunden steht das Zelt irgendwann.

Ich habe so einen unglaublichen Hunger, dass die Küche heute kalt bleibt. Ich schlinge einfach irgend etwas runter. Die Treiber haben zunächst im Hot-Pot ein Bierbad genommen und diesen Platz dann mehr oder weniger verwüstet und übersät mit leeren Bierdosen verlassen und sich anschließend recht zügig ins Koma gesoffen. Die Treiber verhalten sich demnach einigermaßen ruhig, die Hunde heulen leider die ganze Nacht den Mond oder sonst was an.

zusammenfließende Flüsse

zusammenfließende Flüsse

Schaftreiber

Sturmanzug
Nach einem unerwarteten Sandsturm im angepassten Sturmanzug.

Hveravellier

Hveravellier

Hveravellier

Der Wind hat über Nacht gedreht und kräftig zugelegt. Jetzt weht es ganz ordentlich direkt in meinen Zelteingang. Zudem regnet es ein wenig. Das Zelt verlasse ich in voller Montur. Wanderstiefel (weil Hochlandetappe), warme Socken, Hose, Regenhose (an den Fußgelenken mit den Reflektorbändern festgebunden damit sie nicht “rumschlabbert” und mir wieder die Pumpe abreißt), T-Shirt, langes T-Shirt, Power Stretch Pulli, Weste, Schalschlauch, Regenjacke, Handschuhe (schon hier im Zelt ist es empfindlich kalt), Latex Handschuhe aus der Erste Hilfe Tasche drüber (Tipp von Michael, Geschirrhandschuhe habe ich leider nicht dabei), Base-cap gegen den Regen, die Mütze von der Regenjacke drüber und gut zuziehen. So verpackt bemerke ich das Wetter kaum noch und mache mich rundum zufrieden auf den Weg… gegen
den Wind.

Eine israelische Großfamilie kommt mit einem Jeep an mir vorbei, sie wollen sehr genau wissen wie ich das hier mache, wo ich schlafe, was ich esse und trinke, was ich anhabe usw. Sie laden mich ein meine nächste Radtour in Israel zu machen, da wäre es nicht so kalt und ungemütlich.

Der Wind wird immer stärker, wir haben 2 Grad und ich wünsche mir wärmere Handschuhe. Das Wetter kann ich in dieser Verkleidung prima ignorieren, meine eiskalten Finger nicht. Schade, die Handschuhe sind für diese Situation
eindeutig “falsch bemessen”. Auf dem Weg finde ich eine Rolle sehr stabile Alufolie, solcher Müll hat hier natürlich nichts verloren. Aus der Folie improvisiere ich mir Wind- und regenabweisende wärmende Überzüge für meine Hände. Ich bin selber überrascht wie großartig das funktioniert. Die Hände sind wieder warm, ich kann trotzdem bremsen und schalten und sie scheinen nicht kaputtzukriegen zu sein. Und ganz nebenbei habe ich so den hier rumfliegenden Müll noch weggeräumt.

Der Wind nimmt immer weiter zu, ich stecke meine Tagesziele immer weiter zurück. Hveravellir ist schon lange raus, die
Rettungshütte Arnabaeli liegt auch schon bald in unerreichbarer Entfernung. Áfangi ist jetzt mein Tagesziel. Das Zelt hat in Norðurfjörður und vor Laugafell schon einigen Wind überstanden, aber der Wind heute ist deutlich heftiger, wenn möglich möchte ich den Windlast-Lebendversuch ein ander mal machen.

Wenn der Wind von der Seite kommt schafft er es mich seitlich über die Schotterstraße zu schieben während ich schräg gegen den Wind gelegt langsam nach vorne fahre. Ich bin schon ein wenig stolz, aber auch überrascht dabei nicht Umgeworfen zu werden. Allzu oft tue ich mir das nicht an, gebe mich geschlagen und schiebe mein Rad weiter gegen den Wind.

Auch das Schieben wird zunehmend anstrengender. Als der Wind mich schliesslich neben dem Rad stehend fast umwirft akzeptiere ich, dass ich auch Áfangi nicht mehr erreichen werde. Neben der Straße finde ich glücklicherweise einen
einigermaßen windgeschützten Platz und fange an das Zelt aufzustellen. An der Straße hält ein Wagen (nach dem israelischen Jeep der zweite den ich heute zu sehen bekomme). Der Fahrer meint, dass es heute keine gute Idee ist zu
zelten… Schlaumeier! So weit war ich schon vor Stunden! “The wind will fresh up, during the Night!” meinen die Leute aus dem Wagen “Der Wind soll über Nacht aufrischen!” – Spitze, wo ich jetzt schon kaum noch stehen kann! Deswegen sind sie hier überhaupt unterwegs. Sie arbeiten für ein Wasserkraftwerk und haben hier auf der Strecke irgendwelche Anlagen zu kontrollieren. Sie laden mich ein und fahren mich gut 25 km bis zur Rettungshütte.

Ich sage ihnen, dass ich extra den Wetterbericht vorher gelesen habe damit mir so was nicht passiert. Sie sagen nur “Das Wetter wechselt schnell in Island.” ……

In der Rettungshütte fühle ich mich nur bedingt wohl zumal sie von meinen Vorgängern nur bedingt gut behandelt wurde, auf einige bin ich stinksauer. Aufgeschnittene Betten und ein als “Nottoilette” missbrauchter Kochtopf müssen nicht sein und auch wenn man auf den Deckel schreibt “Emergency toilet be careful” und einen Smily dahinter malt wird das nicht lustig. Auch braucht man seinen Müll nicht in der Hütte abzuladen.

Aber schlafen kann ich hier windgeschützt und trocken.

Jörg 03.09.2007

raus aus dem Wind

Rettungshütte Arnabaeli

Rettungshütte Arnabaeli

Rettungshütte Arnabaeli

Bei gutem Wetter fahre ich die Kjölur an. Kurz vor dem Ende der asphaltierten Strecke finde ich einen schönen Platz zum Zelten und bereite mir eine riesige Portion Spagetti mit Tunfisch und Tomatensoße.

Wegweiser
Mit zunehmendem Informationsgehalt sinkt leider die Übersichtlichkeit

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zelten nahe Eyvindarstaðir

Bremsklötze im Überfluss sind angekommen. Kettenwechsel, Schaltung und Bremsen neu justieren, für die Kjölur möchte ich das Rad in gutem Zustand haben. Meine Hochlandquerung möchte ich genießen. Der Wetterbericht kündigt ab Montag besseres Wetter an, hoffentlich bleibt das dann für ein paar Tage so. Drei Tage Hochland wenn alles gut geht, wenn nicht ist das auch kein Problem, ich nehme Verpflegung für sieben Tage mit.

Die Kjölur, genauer der Kjalvegur ist die am einfachsten zu befahrende Hochlandstrecke, nach meinem Rundkurs über die F821 und die F26 wird mich die Strecke wohl nicht überfordern. Die Kjölur ist soweit ausgebaut, dass es keine Furten mehr gibt und die Straßenqualität soll ziemlich gut sein, auch geht es nicht so
hoch wie bei meinem letzten Hochlandausflug. Ich freue mich darauf.

Ach so, das Paket ist nicht angekommen und kommt demnach erst am Montag.
So lange kann ich hier nicht mehr warten. Ich hole mir das Paket per Anhalter in Akureyri ab, wenn ich in Reykjavik angekommen bin. Dort bleibe ich für ein paar Tage bei Jóhanna, der Isländerin die mir auch schon den Tipp mit der Wanderung in den Westfjorden gegeben hat. Das passt ganz gut, ich schlage gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich kann mich mit Wein und Schokolade bei ihr bedanken und sie kann mir so helfen das Paketgewicht zu reduzieren.

nahe Akureyri