Golden Circle


Über die “361” auf die “36” und dann auf die “1” nach Reykjavík. Es geht fast nur bergab auf allerfeinstem Asphalt. Ein wenig Rückenwind erledigt den Rest. Erwartungsgemäß wird der Verkehr mit jedem Kilometer den ich mich Reykjavík nähere deutlich stärker. Etwa 5 km vor dem Zentrum wird die Straße für mich unbefahrbar. Zwei Mal in kurzer Folge werde ich gleichzeitig von einem LKW mit Anhänger überholt ( mit bedrohlichem Abstand) während ein weiterer LKW rechts von einer zweispurigen Auffahrt kommend (ebenfalls mit minimalem Überlebensabstand) an mir vorbeifährt. Ich verlasse die “1” und suche mir einen anderen Weg ins Zentrum. Übernachten kann ich glücklicherweise bei Henrik, der mich sehr spontan und hilfsbereit bei sich aufnimmt.

Bevor ich zu Henrik fahre, besuche ich noch das Infocenter. Wenn ich Glück habe kann das Paket per Bus vom Infocenter Akureyri zum Infocenter Reykjavík transportiert werden. Ich muss leider erfahren, dass das Paket noch bei der Post in Akureyri liegt und nicht ans Infocenter ausgegeben wird. Nur ich persönlich kann das Paket ausgehändigt bekommen. Irgendwelche Zollgebühren (für Hot-Dogs?) werden auch fällig, aber keiner weiß wie viel. Ich wollte morgen nach Akureyri zum Infocenter und das Paket abholen, morgen ist Samstag, das Paket ist bei der Post und die Post in Island hat samstags geschlossen. Sonntags auch, klar! Am Montag muss ich Ersatzteile für mein Zelt in Garðabær abholen. Das hatte ich schon vor einiger Zeit mit dem Vaude Support so abgestimmt. Am Dienstag möchte ich wieder los, schließlich muss ich noch gut 750 km bis Seyðisfjörður fahren und keiner weiß wie der Wind steht.

Kein Wein, keine Schokolade und natürlich auch keine Hot-Dogs 😉 Mist. Ich telefoniere kurz mit dem Infocenter Akureyri und kriege eine halbe Stunde später eine, geradezu niederschmetternde Mail. Die haben jetzt veranlasst, dass das Paket nach Seyðisfjörður, postlagernd geschickt wird, da könnte ich es ja wohl kaum noch verpassen.

Zumindest das Transportproblem ist damit endgültig gelöst.

Schon um 7:00 Uhr verlasse ich den Campingplatz und kann mir kurze Zeit später Þingvellir in aller Ruhe anschauen. An diesem, wohl bedeutendsten Ort Islands sieht man besonders deutlich die Auswirkungen der Kontinentaldrift. Man steht gewissermaßen mit einem Bein in Amerika und mit dem anderen in Europa.

Hier wurden früher wichtige Versammlungen abgehalten, Gesetze beschlossen und Straftäter gerichtet. Männer wurden geköpft und Frauen wurden ertränkt. Die Gleichberechtigung kam später nach Island.

Nach und nach kommt Unruhe in diesen, in den Morgenstunden, so friedlichen Ort. Die Touristen fallen zum Glück nicht so massiv und Rudelweise ein, sondern eher tröpfchenweise. Ich habe wohl einen guten Tag erwischt. Unter anderem treffe ich eine Gruppe Taucher, die im Kontinentalbruch bis zu 40 m tief zwischen vielleicht 5 Meter auseinander stehenden schroffen Felswänden hinabtauchen. Das Wasser hier ist so kalt, wie Wasser grad noch sein kann, aber die Taucher haben ja entsprechende Anzüge an. Nicht so die drei Amerikanischen Touristen, die mit einem der kleinen Touristenbusse hier ankommen. Sie wollen den verweichlichten, warmbadenden Isländern beweisen wie hart man als Amerikaner ist. Bis auf die Shorts ausgezogen führen sie zuerst eine Art Regentanz auf – vermutlich um sich Mut zu machen – und springen dann hinein in den Kontinentalbruch.

Der isländische Þingvellir-Nationalpark-Aufseher meint zu mir “Die haben den Schrumpf faktor vergessen, diese verrückten Amerikaner. Die werden pissen wie die Weiber für die nächsten zwei Wochen.”

Þingvellir

Þingvellir

im Kontinentalbruch

später mal

Öxarafoss

Tanzende Amerikaner

Badende Amerikaner

gleich nasser Amerikaner

Morgens finde ich einen ungefähr Handteller großen Stein in der Zeltapside und ein dementsprechendes Loch in der Zeltwand. Feinde habe ich mir hier eigentlich nicht gemacht.

Nach einer provisorischen Zeltreparatur geht es bei herrlichem Sonnenschein und starkem Wind, natürlich von vorne, Richtung Þingvellier. Das Stück Richtung Þingvallavatn (östlich vom Bíldsfell) ist wunderschön, allerdings sehr sandig. Der sandige Weg in Kombination mit dem Wind bedeutet wieder mal recht häufig Schrittgeschwindigkeit oder schieben.

Am Wasserkraftwerk geht es über die Sog. Dort komme ich mit dem Wasserkraftwerksleitstellenangestellten ins Gespräch. In erster Linie warnt er mich vor…

vor was wohl? Der Wind soll stärker werden zum Abend hin. Es wurde eine Sturmwarnung herausgegeben und er belegt das auch noch mit den entsprechenden Wetterdaten. Eine kurze Führung durchs Kraftwerk ist inbegriffen. Er bietet mir an, mich ein Stück Richtung Þingvellir zu fahren. Für die ca. 20 km bis hier habe ich fast vier Stunden gebraucht. Der Wind nimmt bis heute Nacht ständig weiter zu. Er meint spätestens in zwei Stunden ist an Radfahren wirklich nicht mehr zu denken. Während der Fahrt zeigt er mir die (wie er meint) schönste Gegend in Island. Das ist jetzt schon die dritte schönste Gegend in Island, die mir gezeigt wird. Mal sehen ob ich noch eine finde. 😉

Sein Angebot anzunehmen ist eine gute Entscheidung. Die verbleibenden 10 km, die ich noch radeln muss sind richtig bitter. Ich erreiche einen verwaisten Campingplatz kurz vorm Dunkel werden. Wirklich guten Windschutz finde ich hier leider auch nicht.

Ich habe mir für die gesamte Tour vorgenommen mich auf dem Rad nicht zu verausgaben, zumindest nicht absichtlich. Man weiß ja nie was noch passiert.

Das Zelt bei Wind aufstellen ist OK und wurde in letzter Zeit häufig trainiert. Die einzigen Steine zum Beschweren finde ich ein gutes Stück vom besten (windgeschütztesten) Platz entfernt. Beim Steine schleppen, ich glaube ich bin 10 mal hin und hergelaufen, musste ich noch aufpassen mich vom Wind nicht umwerfen zu lassen. Die Türen zu den Sanitäranlagen sind nicht verschlossen, das ist gut. Wenn man sie einmal geöffnet hat gehört allerdings einiges dazu, diese gegen den Wind wieder zuzukriegen. An meiner Benzinflasche verklemmt sich irgendwie das Rückschlagventil und ich brauche einige Zeit und verschütte eine Menge Benzin bis ich das wieder gerichtet habe. Als ich mich schlafen legen möchte schließt der Reißverschluß am Zelt nicht richtig. Nach langem erfolglosem probieren gebe ich auf, improvisiere eine Notlösung und stelle mich auf eine sehr zugige Nacht ein.

Grauschecken

Die Straße Richtung Efri-Brú

sandig

Wasserkraftwerk

Wasserkraftwerk

Wasserkraftwerk

druch die grünen Rohre kommt das Wasser rein

hier geht das Wasser wieder raus

Þingvellirvatn

36

Camping Þingvellir

Den Tag verbringe ich ähnlich wie gestern. Kurzfristig kommt mir die Idee, mich etwas länger in Selfoss aufzuhalten und dann einen Allradjeep für drei oder vier Tage zu mieten. Damit könnte ich dann nach Seyðisfjörður zurückfahren. Auf dem Weg würde ich dann einen Schlenker über Landmannalauger machen. Eigentlich wollte ich da noch mit dem Rad hin, aber das werde ich dieses Jahr nicht mehr machen. Nach meiner Erfahrung auf der Kjölur habe ich mir das anders überlegt, noch mehr richtig schlechtes Hochlandwetter brauche ich im Moment einfach nicht. Mit Jeep wäre das allerdings noch mal interessant. Die Idee wird aber wieder verworfen… Kaufen wollte ich den Wagen nicht gleich.

Heute mache ich die Bibliothek zu meinem zu Hause. Hier gibt es Kaffee und Internet, Informationen und Bücher im Überfluss. Ich plane meine Rückreise, buche die Überfahrt mit der Norröna nach Bergen in Norwegen, schreibe Reiseberichte, lerne ein wenig isländisch und lese viel in Büchern über Island.

Das Garmin Geschäft entpuppt sich als Friseurladen. Betrieben von Vater und Sohn, der Vater ist begeisterter Schneemobilfahrer, der Sohn ist begeisterter Motorradfahrer. Nebenbei verkaufen sie hier Motorradsachen und eben Garmingeräte.

Garminfriseur

Vater und Sohn die Garmin Friseure

Bei Dauerregen und starkem Wind fahre ich nach Laugarvatn. Hier möchte ich mich mit Bargeld versorgen. Ich habe keine Krone mehr. Leider funktioniert der Geldautomat nicht und ich kriege auch sonst kein Geld hier. Ich möchte eigentlich weiter nach Þingvellier, aber alle sagen, dass ich auch dort keinen Automaten finden werde. Der nächste Geldautomat steht in Selfoss. Das sind ca. 40 km und die natürlich genau gegen den Wind. Die Strecke ist wenig eindrucksvoll zumal ich bei dem starken Regen auch nicht viel davon zu sehen bekomme.

Mein Tempo wird durch den Wind bestimmt, trotz asphaltierter Straße fahre ich selten mehr als 10 km/h – Man gewöhnt sich dran. So lange man in Bewegung und damit schön warm bleibt ist alles bestens.

Auf dem Weg nach Selfoss fahre ich am Krater Kerið vorbei. Kerið ist ein sehr schöner 6500 Jahre alter Schlackekrater bei dem nach dem Ausbruch durch ein Abfließen eines Lavareservoirs unter dem Krater die Lavadecke eingebrochen ist. Den Krater erreiche ich genau in den 20 min. in denen heute die Sonne scheint. Das ist doch mal ein glücklicher Zufall. Kerið darf man nicht kommerziell fotografieren. Ich mache meine Bilder also unkommerziell und fahre weiter.

Eigentlich möchte ich in Selfoss nur Geld holen und mich dann sofort vom Wind Richtung Þingvellier schieben lassen. Ich finde hier aber eine sehr gute und günstige Internet-Zugriffsstelle, einen schönen und günstigen Campingplatz und ein Garmin-Geschäft. In dem Garmin Geschäft kann ich vielleicht meine GPS-Punkte aufbereiten und hochladen. ich entschließe mich erst mal hier zu bleiben.
F337

Laugarvatn

Kerið

#

Schmorgurken mit Thunfisch, Zwiebeln und Tomatensoße

Nach einem weiteren Tag am Strokkur voller amüsanter Enttäuschungen, interessanter Begegnungen und Beobachtungen verlasse ich den Geysir. Ich fahre am späten Nachmittag Richtung Laugarvatn los. Ein kurzes Stück die F337 hoch finde ich einen schönen Schlafplatz mit traumhafter Aussicht.


Morgens besuche ich den Geysir bzw. den Strokkur (Butterfass) noch vor Beginn der Touristenflut. Um 6:30 Uhr stehe ich schon mit der Kamera im Anschlag neben dem Strokkur.

Der Strokkur scheint Tag und Nacht durchzulaufen. Ich hatte schon befürchtet er wird aus Energiespargründen über Nacht abgestellt und erst gegen 8:00 Uhr bei Ankunft der ersten Touristenbusse wieder eingeschaltet. Aber die Isländer haben Energie im Überfluss. Überall werden Fenster und Türen aufgelassen während die Heizung volles Rohr läuft, auch Autos werden oft mit laufendem Motor geparkt. Energie ist hier einfach unglaublich günstig. Das geht so weit, dass aus Australien Bauxit hierher transportiert wird, um in einem sehr energieaufwendigem Prozess Aluminium herzustellen. In geothermal beheizten Gewächshäusern wachsen hier sogar Bananen, Island ist wohl das europäische Land das die meisten Bananen produziert.

Der Strokkur jedenfalls wird auch nie abgeschaltet, nicht mal für Wartungsarbeiten. In etwa alle 8 Minuten bricht er aus, dabei ist er aber recht unregelmäßig. Manchmal blubbt, blubbert oder spritzt er schon nach 3 oder 4 Minuten, manchmal muss man auch etwas mehr Geduld mitbringen.

Die in busladungsgroßen Rudeln durchziehenden Touristen fallen mir hier nicht so massiv auf wie am Gullfoss. Lustig ist, dass hier wirklich alle dasselbe machen. Jeder läuft hier umher und sucht den seiner Meinung nach günstigsten Platz für das allerschönste Strokkur Foto. Dann steht man da und wartet mit langsam müde werdenden Armen auf den großen Moment. Dieser wird mit lauten Oh`s und Ah`s begrüßt und anschließend meist mit einem enttäuschten Ohh kommentiert, wenn man feststellt, dass das Foto wieder nichts geworden ist. Mal steht man so nah und der Ausbruch ist so gewaltig, dass man auf dem Foto eigentlich nichts mehr erkennen kann, mal hat man einfach den richtigen Moment verpasst oder ein anderer Strokkur-Jäger hat sich, ohne böse Absicht, aber sehr konsequent und absolut unübersehbar im letzten Moment genau zwischen dich und den Strokkur gestellt.

Manchmal blubbt er auch mehrere Male hintereinander nur ein wenig oder er führt nur mäßig beeindruckende 2-Meter-Mini-Spritzer vor. Die enttäuscht davonziehenden Touristen verpassen dann leider einen nicht mehr erwarteten ca. 20 Meter Kraftakt. Wenn sie sich dann umdrehen sehen sie nur noch wie die Wasserfontäne wieder zusammenfällt.

Das oben beschriebene Vergnügen kann ich mir, da ich keinen Terminplan habe, den ganzen Tag antun. Ich werde nicht müde immer wieder auf den nächsten Ausbruch zu warten, meine Arme schon. Ein Stativ wäre hier von Vorteil.

Abends gehe ich essen, zum ersten Mal während meiner Tour. Im Hotel Geysir gönne ich mir ein Menü vom Allerfeinsten. Von meinem Platz aus kann ich den immer wieder ausbrechenden Strokkur weiter beobachten. Jetzt sitze ich dabei im Warmen, habe edelste Speisen (gutes Essen zu sagen wäre schon fast eine Beleidigung. Zumindest aus meiner Sicht nach den letzten Wochen und Monaten) auf dem Teller und trinke Rotwein. Das ist ein Abend mit sehr besonderer Atmosphäre. Diese Atmosphäre kostet mich mehr als die letzten 10 Tage zusammen… Da bestell ich mir doch noch einen Wein 😉

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Strokkur

Was ist den hier los?!

Hier sind asphaltierte Parkplätze, mit Brettern ausgelegte Wege, Holztreppen,
Invasionen von Touristenbussen und dementsprechend Bussladungen voll mit
Touristen die stoßweise über die mit Brettern ausgelegten Wege laufen und
schnell ihre Fotos schießen. Hier wurden Absperrleinen gespannt, die auch noch
dem Letzten sagen sollen, dass es dahinter gefährlich ist, weil es dort dann die
Klippen runter geht. Hier ist ein überteuertes Kaffee in dem man Souveniers
kaufen kann und so entsetzlich viele Menschen, dass ich mich unwillkürlich
zurückwünsche ins neblige Hochland. Aber die beheizten Toiletten und das an
Waschbecken zur Verfügung gestellte fließende warme Wasser sind eine solche
Wohltat, dass ich diese touristische Invasion ganz leicht ignorieren kann.

Nichtsdestotrotz, der Gullfoss ist mit seinen zwei Stufen und der traumhaften
Schlucht in der er liegt wirklich ein eindrucksvoller Anblick.

Von hier fahre ich noch ein Stück weiter zum Geysir und niste mich dort auf dem
Campingplatz erst mal ein.

Übrigens, ich habe mit Achim gesprochen. Er hat mir natürlich keine Hot-Dogs
geschickt! Tonnen von Schokolade, Wein, Salami und Wiener Würstchen, die wohl
noch am ehesten als Hot-Dogs durchgehen. Ich lasse mich überraschen, was von
dem Paket noch übrig ist wenn ich es in Akureyri abhole.

am Gullfoss

Gullfosskaffi

Parkplatz am Gullfoss

Gullfoss

am Gullfoss

Als ich aufwache sieht das Wetter noch freundlich aus, bis ich alles gepackt
habe und losfahre regnet es wieder in Strömen, ich stehe in dichtem Nebel und
mir weht ein Windchen entgegen, das mich gelegentlich wieder zum Schieben
zwingt, meist kann ich so gerade noch fahren. Gute Entscheidung, gestern ein
paar Kilometer mehr zu machen.

Den Nebel fotografiere ich nicht mehr ganz so oft, irgendwie lohnt das nicht. Richtung
Gullfoss klart es immer weiter auf. Das letzte Stück ist asphaltiert und geht
bergab. Meine Hoffnung hier wieder einigermaßen normal fahren zu können wird leider enttäuscht. Trotz dieser Bedingungen lässt der Wind auch bei höchstem Kraftaufwand nicht viel mehr als Schrittgeschwindigkeit zu.

Am Gullfoss scheint die Sonne, ein Blick zurück zeigt mir aber, dass das Wetter
im Hochland unverändert ist. Jemand hat mir mal erklärt, wie das mit dem
Wetter hier in Island funktioniert. Kommt der Wind von Norden, ist im Norden
Regen, kommt der Wind von Süden, ist im Süden Regen. Das ist so, weil die
Wolken am Hochland hängen bleiben. Wenn man das zu Ende denkt, dann ist im
Hochland immer Regen?

Kjölur im Nebel bei Regen

Der e4rste Blick aus dem Nebel

fast am Gullfoss

Gullfoss