Seyðisfjörður


In der noch von der Hinfahrt gut im Gedächtnis gebliebenen, bienenwabenähnlichen Liegekabine treffe ich nach und nach meine Zimmergenossen. Ein Elektriker, der acht Jahre gearbeitet hat und ein Sabbatjahr machen wollte das ihm verwehrt wurde. Kurzentschlossen hat er daraufhin seinen Job gekündigt und ist nach Hanstholm zum Kitesurfen gefahren. Dort hat er sich spontan nach Island eingeschifft. In Island hat er dann eine Anhalterin mitgenommen, sich von ihr zu einer Woche Arbeit auf einer Schaffarm übereden lassen und ist jetzt mit dieser Anhalterin auf dem Weg zurück nach Hanstholm. Die Anhalterin ist gebürtige Russin und von Moskau bis Hanstholm getrampt und dann mit der Norröna nach Island gefahren um dort zuerst irgendeinen Fjord von Unrat zu reinigen und anschließend auf verschiedenen Schaffarmen zu jobben. Sie ist jetzt auf dem Weg zurück nach Moskau. Ein “Trendsportler” der sein Leben damit verbringt Motorcross, Mountainbike und Kajak zu fahren, Gleitschirm und Drachen zu fliegen und auf auf Berge zu klettern. Er hat irgendwann mal Geographie studiert und jobt gelegentlich als Reiseleiter. Ein Motorcrossfahrer der in Island ein Rennen organisiert, gefahren und gewonnen hat und jetzt auf dem Weg zurück ist. Dann ist da noch ein Italiener, der nur kurz seine Sachen ablegt und sich nicht auf die “Interviewfragen” der sehr kommunikativen und redseligen Russin einlässt. Als weiterer Gast betritt eindrucksvoll, raumfüllend, “scheinbar?” schlecht gelaunt und ohne ein Wort der seltsame Mann aus Seyðisfjörður die Kabine. Er wuchtet seinen massigen Körper auf eine der mittleren Liegen und stimmt schon knapp zwei Minuten später ein rohrbruchartiges Schnarchkonzert an. Ich werde es mir wohl wieder irgendwo auf den Gängen des Schiffes gemütlich machen. Die Anhalterin, trifft dann noch einen Mann den sie in Island kennengelernt hat und der sich ganz fest in den Kopf gesetzt hat sie zu heiraten. Nachdem er mich einmal mit ihr gesehen hat werde ich in den nächsten Tagen gewissermaßen zu seinem bevorzugten “Ansprechpartner”. Mal fragt er etwas aggressiv nach ihr, mal schwärmt er von ihr, mal jammert er ein wenig über dies und das, manchmal kann ich ihn auch einfach nicht mehr verstehen, weil er zu betrunken ist um deutlich zu sprechen. Sie macht es noch besonders spannend und berichtet geradezu grausige Geschichten von ihm.

Ich verbringe den Abend im Viking Club mit Urs und Ghislain. Die beiden Schweizer sind in den letzten 4 Monaten durch verschiedene Europäische Länder gereist. Die meiste Zeit haben sie in Island verbracht. Die beiden sind sehr angenehme Gesprächspartner und wir genießen gemeinsam den Abend in der Bar, trinken Bier und schauen uns die täglich stattfindende Tanzvorführung an. Nicht schlecht was einem hier an Bord so alles geboten wird.

Abfahrt

eingereiht

Norröna

Tanzvorführung im Viking Club

Tanzvorführung im Viking Club

Auf dem Campingplatz treffe ich Josef aus der Schweiz. Ein echtes Original! Er fährt seit 1985 jedes Jahr für drei bis fünf Monate mit seinem alten Schweizer Postfahrrad durch Island. Damit hält er vermutlich irgendeinen Rekord. Ganz sicher hält er nicht den “schnellster Radfahrer Islands” Rekord. Sein Postvelo hatte damals, als er dieses Rad für ein paar Schweizer Franken gekauft hat nur einen Gang. Er hat es umgebaut und fährt seit dem auf drei Gängen. Im höchsten Gang fährt er ca. 9 km/h mit seinem Rad. In den übrigen Gängen fährt er Schrittempo. Genau kann er es mir nicht sagen, einen Tachometer hat er nicht an seinem Rad. Sein altes Zelt ist mit den Jahren undicht geworden. Er hat es komplett mit Panzerklebeband verstärkt, so war es am Ende fast Lichtundurchlässig und ungewöhnlich windstabil. Allerdings auch ungewöhnlich schwer, ca. 20 kg brachte dieses Unikat auf die Waage. Vermutlich das schwerste 1-Personen Zelt das jemals auf einer Radreise in Island dabeigewesen ist. Mittlerweile hat er sich von diesem Unikat getrennt und sich ein neues (leichteres) Zelt zugelegt. Ca. 90 kg. Gepäck hat er aber immer noch dabei. Er hat vermutlich jede Straße Islands mit dem Rad befahren. Die Hochlandstrecken hat er allerdings zu einem großen Teil ausgelassen. Nur die Kjölur hat er befahren, allerdings zu einer Zeit als die Strecke noch längst nicht so gut ausgebaut gewesen ist wie heute. Damals musste er noch zwei oder drei Furten auf der Strecke bewältigen. Er reist wirklich sehr bewusst und langsam durch Island. Für höhere Pässe plant er manchmal drei Tage ein, wenn er längere Strecken schieben muss baut er die linke Pedale ab damit sie ihn beim Schieben nicht behindert. Er liebt die isländische Landschaft, das Wetter und die Menschen hier. Dieses Jahr hat er sich von seinem geliebten Postvelo getrennt und hat Island mit einem kleinen Auto bereist. Sein Fahrrad steht seit gestern im Technikmuseum von Seyðisfjörður. Es steht nicht in den normalen Ausstellungsräumen. Das Rad finde ich in einer Art Werkstatt, die zum Museum gehört.

Das Rad und die teilweise fest angebauten Fahrradtaschen scheinen nur noch durch Klebeband zusammengehalten zu werden. Diverse Besonderheiten und Speziallösungen fallen mir bei der Begutachtung des Rades auf. Unter der linken Pedale ist ein mit Klebeband befestigter schwerer Klotz angebracht. Ich habe keine Idee wofür das gut sein soll. Josef erklärt mir später am Campingplatz dass dieser Klotz einfach ein Stein ist der nur dafür da ist die Pedale unten zu halten wenn er das Rad kurzzeitig schieben muss, bei längeren Strecken wird die Pedale abgeschraubt.

Josef ist ein sehr herzlicher Mensch der scheinbar sehr viel Lebensfreude aus seinen Islandbesuchen mitnimmt. Ich bin mir sicher, dass er eine Reisebekanntschaft ist mit der man Kontakt hält über viele Jahre. Langsamen Kontakt allerdings, da man auf die elektronische Post verzichten muss und sich mit ihm nur per Brief oder Grußkarte austauschen kann.

Neben meinen Gesprächen mit Josef verbringe ich viel Zeit in der Bibliothek. Dort erfahre ich von der Angestellten einiges über die isländischen Sagas und in dem Zusammenhang über die isländische Genealogie. Das Interesse der Isländer an Ahnenforschung – an Genealogie – ist so groß, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Jeder Isländer kann seinen Stammbaum bis zur Besiedelung Islands zurückverfolgen. Eine Vorfahrin der Bibliothekarin z.B. wurde um 930 n.Chr. in Norwegen von einem reichen Isländer gekauft. Die Norweger hatten sie aus Irland entführt und auf dem Sklavenmarkt verkauft.
In Bibliotheken fühle ich mich mittlerweile richtig wohl. Leider nicht nur ich. Hier in Seyðisfjörður treffe ich auch einen unangenehmen Menschen der alle Menschen um ihn herum ignoriert und stumpf wirkt wie ein Tier. Zwei Schweizer, die mich auch auf der Überfahrt begleiten werden, haben ihn schon in auf einem Campingplatz in Island getroffen. Sie sind sehr überrascht, dass er es von dort nach Seyðisfjörður geschafft hat. Er wirkt immer so, als würde er sich nie wieder von der Stelle bewegen. Sie berichten mir, dass er einen Tag vor seinem Zelt gelegen hat und einen anderen Tag in einem Kaffee ein Telefonbuch druchgeblättert hat….

Hier geht es mir ähnlich. Immer wenn man ihn sieht, denkt man unweigerlich, dass er diesen Platz nie wieder verlassen wird. Keiner versucht auch nur ein Wort mit ihm zu reden, jeder geht ihm aus dem Weg. Nur Josef, in seiner menschenfreundlichen und herzlichen Art geht auf ihn zu und möchte mit ihm reden. Sogar Josef prallt ab, an einer Mauer aus Ignoranz und Desinteresse. Er scheint keinerlei Interesse mehr an Sozialkontakt mit Menschen zu haben.

Die Norröna ist heute schon in Seyðisfjörður angekommen und dominiert den Ort. Allerdings wirkt sie ihrerseits klein und unbedeutend zwischen den gewaltigen umgebenden Bergen. Ich stelle fest, dass ich Island nur sehr ungerne verlasse. Gerne würde ich noch eine Weile hier bleiben, vielleicht auch den ganzen Winter hier verbringen. Das ich wiederkomme steht fest, vielleicht schon im nächsten Jahr.

Josef

Norröna

Technikmuseum in Seyðisfjörður

Das Postrad von Josef

das Postrad von Josef

Josef

Der Bus fährt pünktlich um 7:20 Uhr ab. Ein langezogenes und sehr ausdrucksstarkes Jau (gesprochen “Jaauuhh”) ist das einzige Wort das ich, wenn der Busfahrer redet, zweifelsfrei identifizieren kann. Trotzdem soll ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen damit wir uns besser unterhalten können. Eine Aufgabe, die mich eindeutig überfordert. Im nächsten Ort steigen glücklicherweise Isländer zu und übernehmen diese Aufgabe für mich. In Eglistaðir steige ich um und fahre direkt nach Seyðisfjörður weiter.

Theoretisch sollte hier bei der Post das Carepaket von Achim auf mich warten….

Mit einem Einkaufswagen ausgerüstet gehe ich hoffnungsvoll zur Post. Dort frage ich vorsichtig und etwas skeptisch nach einem Paket für mich und sie zaubern es tatsächlich hervor. Gegen eine Zollgebühr von ca. 20,- Euro kriege ich es sogar ausgehändigt. Die Zollgebühr ist für die Einfuhr von Wein und Lebensmitteln nach Island… schon blöd, dass ich in zwei Tagen mit der Fähre zum Festland aufbreche.

Heute ist also Bescherung, ich darf das Paket auspacken! Eine Bestandsaufnahme ergibt dass nichts fehlt, abgesehen von zwei großen Salamistangen…. Ne Is Klar! Mit zwei Laib Brot a 1000 Gramm geben die bestimmt erstklassige Hot Dogs ab!

Nach dem etwas enttäuschenden Ende des Islandabenteuers für dieses Jahr kommen mir Wein und Schokolade jetzt sehr gelegen. Danke Achim!

Ich lasse mich auf dem Campingplatz nieder. Zum ersten Mal seit ich in Island bin muss ich für eine Dusche bezahlen. 100 ikr für 2 Minuten Duschzeit. Schon während ich die Münze einwerfe weiß ich, dass ich diese Dusche sehr unzufrieden wieder verlassen werde. Nachdem ich mich hier also kurz, aber sehr bewusst, geärgert habe, setze ich mich erfrischt und munter auf die Wiese vor meinem Zelt und genieße das sommerliche Wetter. Völlig überraschend ist die Temperatur auf 20 °C gestiegen und ich kann mich in die Sonne legen. Es bleibt sogar nach Sonnenuntergang so warm, dass ich noch lange draußen sitzen und den Tag ausklingen lassen kann.

Das Paket

Das Paket

Das Paket

Am vorläufigen Ziel meiner Träume angekommen!
Nach zwei Bier gestern Abend und einer viel zu kurzen Nacht in der viel zu warmen und schlecht belüfteten Kabine, in der ich leider keinen Schlaf gefunden habe, schleppe ich mich und mein Rad mit Kopfschmerzen von Bord. Herrlicher Sonnenschein, kalter Wind und ein traumhafter Blick auf die Berge begrüßen mich. Um aus Seyisfjörður herauszukommen, muss der Pass nach Egilsstaðir bezwungen werden. Die Alternative wäre eine Fähre nach Bakkagerði, die geht aber erst in zwei Tagen.

620 Höhenmeter auf den ersten 14 km bei herrlicher Aussicht und empfindlich kaltem Wind. Die nächsten 10 km gehen wieder fast auf Meereshöhe runter. Von Egilsstaðir starte ich nach langer Pause und viel Kaffee meine Fahrt in Richtung Hallormsstaður. Ich verzichte auf das Zelt und schlafe unter bewölktem Himmel direkt am Ufer des Lögurinn/Lagerfjólt. Hier im See lebt die Isländische Version von Nessie, ich habe den Wurm aber leider nicht zu sehen bekommen. Ich habe das Gerücht gehört, dass der Loch Ness und der Lagerfjólt durch unterirdische Tunnel verbunden sind und wenn ich den Wurm hier nicht zu sehen bekommen habe, dann kann es sein, dass er gerade in Schottland ist.

Jörg on Tour in Seyisfjörður

Die Islandradler von der Norröna

Seyisfjörður

Egilsstaðir

erstes Nachtlager in Island