Hornstrandir


Von Norðurfjörður aus per Anhalter wegzukommen ist was für Optimisten.
Das Schwimmbad, Krossenslaug ist ein Magnet für Einheimische und
Touristen, so dass in der Saison am Wochenende vielleicht 20 Autos dort
stehen. Im Moment ist die Saison für diese Gegend gerade vorbei,
wir haben kein Wochenende und ca. 12:00 Uhr. Vermutlich ist gerade
keiner im Schwimmbad. Der Campingplatz Norðurfjörður lockt auch schon
mal ein paar Besucher an. Ich kann aber eindeutig sehen, dass hier
gerade kein einziges Auto steht. Dann ist da noch der kleine Supermarkt
mit Guesthouse und Tankstelle. Das kann ich auch ganz gut vom
Campingplatz aus sehen und auch dort steht kein Auto. Auch der Platz am
Hafen wo Reimer immer anlegt ist, soweit ich das beurteilen kann,
verwaist. Dann gibt es hier noch einen Bauernhof und ein zurzeit
leerstehendes Sommerhaus, ich glaube ein Stück weiter oben stehen noch
ein oder zwei Sommerhäuser. Also grob und optimistisch geschätzt sind
derzeit ca. 3 Autos auf der richtigen Seite.
Um meine Chancen zu erhöhen marschiere ich schon mal los. Schon nach
weniger als einem Kilometer stößt die Straße von Ófeigsfjörður dazu,
damit verdoppeln sich meine Chancen ein Auto zu bekommen.
Ich habe mir ausgerechnet, dass ich bis Holmavik ca. drei Tage laufen
muss, von dort komme ich auf jeden Fall weg. Für drei Tage habe ich auch
Verpflegung dabei.

Nach ca. 1,5 Stunden sind schon drei Autos an mir vorbeigefahren, in der
falschen Richtung, aber die müssen ja irgendwann wieder zurück. Das ist
bei Sackgassen nun mal so.
Da kommt der erste Wagen aus der richtigen Richtung. Er hält!
Der Fahrer, ein Mann mit sehr derbem Gesicht, der beim Sprechen immer
den Eindruck vermittelt er hätte gerade etwas fürchterlich bitter
schmeckendes zwischen den Zähnen zerbissen, meint, ich hätte kaum eine
Chance heute eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Er selber fährt aber
nur zu diesem unaussprechlichen Ort, den man von hier aus schon sehen
kann. Wir einigen uns darauf, dass er mich zum Hotel in Djupavík bringt.
Das ist sehr nett, dafür fährt er hin und zurück mehr als eine Stunde.
Aber diese Entscheidung scheint für ihn eine ganz bittere Pille zu sein,
zumindest wirkt das auf mich so.

Bis zu seinem Haus in Trékyllisvík hält er eine Plastiktüte fest in
einer Hand, ich glaube es sind tote Fische drin, die bringt er ins Haus.
Auf seiner Rückbank liegt jede Menge Kram, unter anderem große Stücke
seltsam geformtes Treibholz. Er kommt zurück und ab geht die Fahrt nach
Djupavík.

Ich stelle mich vor. Er sagt “Krpn” und gibt mir die Hand. Ich versuche
das zu wiederholen. Er buchstabiert ungeduldig “H-R-A-F-N, eben Krpn.
Der große schwarze Vogel! – Rabe – in deutsch, das bin ich!”

Irgendwie muss ich an Krabat denken.

Der Rabe redet kaum und wenn, dann gepresst und abgehackt, ein “Ja” kann
man gut krähen. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich rausschmeißt, wenn
ich zu viel rede, also sage auch ich nicht viel. Wenn ich etwas sage,
dann kurz und knapp und irgendwie mit Witz, ich möchte ihn zum Lachen
bringen. Das gelingt mir auch und er hat ein angenehmes und freundliches
Lachen – zum Glück!

Auf dem Hinweg hatte ich auf dem letzten Stück einen Fahrer, der mir auf diesen sandigen und unübersichtlichen Schotterpisten mit den Klippen die teilweise knapp neben der Straße anfangen und dem erheblich tiefer liegendem Meer, etwas zu schnell unterwegs gewesen ist. Der Rabe fährt doppelt so schnell, also
teilweise über 100 km/h, aber er ist auch sehr auf die Straße
konzentriert. Er scheint für jede Kurve die maximal mögliche
Geschwindigkeit in jahrelangen Testfahrten ermittelt zu haben und sich
sehr gut mit Roll und Haftreibungsbeiwerten auszukennen. Zumindest nutzt
er sie auf dieser sandigen Straße bis zur äußersten Grenze aus. Ein
wenig schneller und wir fliegen aus der Kurve, was hier gar nicht lustig
ist. Nachdem ich mich entschlossen habe ihn nicht zu bitten anzuhalten
und mich doch lieber laufen zu lassen, versuche ich einen gelassenen
Eindruck zu vermitteln und nicht alle 30 m das Bodenblech durchzutreten.
Eine Aufgabe die meine volle Konzentration erfordert.

In Djupavík angekommen springt er ohne ein Wort zu sagen aus dem Auto
und rennt ins Hotel. Ich schnappe mir meinen Rucksack und steige
erleichtert, auch diese Fahrt überstanden zu haben, aus. Gerade will ich
ihm ins Hotel folgen, da kommt er auch schon wieder zurück, springt in
sein Auto und rast davon. Er fährt zu einer Frau die gerade auf dem
Parkplatz vor dem Hotel in ihr Auto steigt, ich gehe hinterher. Der Rabe
kommt zurückgerast und sagt mir, dass die Frau jetzt nach Holmavík fährt
und mich mitnimmt, aber ich soll mich beeilen. Ich kann mich während er
an mir vorbeifährt gerade noch bedanken und schon tritt er wieder aufs
Gas und ist verschwunden. Das war der liebste und hilfsbereiteste Rabe
den ich kenne.
Ich laufe zu der Frau und steige ein. Sie ist die Hotelbesitzerin von
Djupavík und sie meint “Ich bin fast eine Stunde zu spät dran für meinen
Zahnarzttermin in Holmavík, mach besser die Augen zu, ich werde sehr
schnell fahren müssen!” …..

Von Holmavík aus habe ich den Bus genommen bis Brú und von dort weiter
per Anhalter nach Akureyri, direkt auf den Campingplatz.

Norðurfjörður

Hier noch mal ein Bild von der Hinfahrt, so in etwa sieht die Straße aus nur haben wir heute zum Glück gutes Wetter. Gegenverkehr ist selten, kommt aber vor.

Straße nach Djúpavík

Während ich mein Zelt einpacke fahren zwei Autos an mir vorbei, die
müssten eigentlich bald wieder zurück kommen schließlich hört der Weg
für Autos nach knapp einem Kilometer auf. Vielleicht habe ich Glück und
die nehmen mich mit nach Norðurfjörður. 7 Stunden brauche ich bestimmt
noch und der Weg von hier ist nicht mehr so interessant, dass ich den
noch unbedingt laufen möchte. Nach ein paar Minuten kommt auch schon ein
Auto zurück. Der Mann geht auch wandern. Reimer bringt ihn gleich nach
Drangar und von dort läuft er mit einem Freund in drei Tagen zu seinem
Auto, das er gerade abgestellt hat, zurück. Ich wünsche ihnen, dass das
Wetter so bleibt.
Mit dem Wagen ist die Straße richtig spannend, wir fahren über weite
Strecken Schrittgeschwindigkeit und müssen auch durch eine Furt, nicht
so tief und reißend wie die Furten, die ich in den letzten Tagen zu
durchqueren hatte, aber mit dem Auto ist das auch wieder etwas völlig
anderes.
Die Strecke geht vorbei an einer alten Fischfabrik, einem liegenden
Troll, einem kostenfreien Zeltplatz, ein paar alten verlassenen und ein
paar bewohnten Häusern.
Die Fahrt dauert ca. 1,5 Stunden. Am Campingplatz freut man sich, mich
zu sehen. Der Fahrer bringt mich direkt weiter zum Schwimmbad
Krossenslaug. Von dort laufe ich gemütlich eine Stunde zum Platz zurück,
wo ich mit Kaffee und belegten Broten verwöhnt werde.
Hornstandir ist herrlich, ich möchte am liebsten dort bleiben. Aber die
meisten Häuser sind nur im Sommer bewohnt. In Látravík ist jetzt niemand
mehr, Bolungarvík war bereits verlassen, als ich dort vorbeikam. Der
Campingplatz in Reykjarfjörður wird jetzt langsam für den Winter
geschlossen. Auch die Frau, die hier in Norðurfjörpur den Campingplatz
betreibt wird in ein paar Wochen nach Reykjavik ziehen und dort den
Winter verbringen.
Lange sitze ich über meinen Karten und plane weitere Wanderungen in
Hornstrandir, irgendwann komme ich hier wieder hin. Da das aber noch
einige Zeit hin ist, nehme ich mir erst noch mal meine Radkarten vor und
plane die nächsten Touren von Akureyri aus.

Jeep Track nach Ófeigsfjörður

Alte Fischfabrik

Haus in Ófeigsfjörður

Ich verlasse Drangar, dabei komme ich am Haus eines Eiderdaunenfarmers
der hier mit seiner Familie lebt vorbei. Die beiden Kinder, die man
unten auf dem abfotografierten Bild sieht sind mittlerweile etwa 3 Jahre
älter geworden. Dass mir da gerade die beiden Mädchen aus dem Buch
“Isländer” über den Weg gelaufen sind, wird mir erst ein paar hundert
Meter weiter klar. Eiderenten legen ihre Nester mit Eiderdaunen aus,
damit halten sie ihr Gelege und ihre Jungen, also die Eiderentenküken, warm. Eiderdaunenfarmer
wandern die Eiderentennester ab und “pflücken” vorsichtig ein paar Eiderdaunen heraus.
Später, wenn die Jungen das Nest verlassen haben, holen sie vermutlich
die restlichen Eiderdaunen, so genau weiß ich nicht wie das
funktioniert.
Der nächste Berg macht fast keine Schwierigkeiten, nur beim Abstieg
laufe ich sehr lange am Hang entlang bis ich endlich eine Stelle finde,
die nicht zu schroff und steil zum Absteigen ist. Die Furt im Tal ist
verhältnismäßig harmlos.
Mal mit und mal ohne Pfad geht es weiter. Teilweise ist der Pfad wohl
überwiegend durch entlanglaufende Schafe entstanden. jedenfalls komme
ich auf diese Weise an Stellen, wo sich gut trainierte isländische
Bergschafe vielleicht noch wohl fühlen, ich mit meinem Rucksack aber
eher deplaziert bin.
Heute habe ich richtig gutes Wetter und kann die wärmende Sonne
genießen. Auch ist es eine sehr willkommene Abwechslung die wunderbare
Landschaft mal wieder ohne Nebel und bei Sonnenlicht zu sehen. Der Weg
bis hier war spannend und eindrucksvoll, aber ich werde wohl noch mal
hier her kommen, nur um die Strecke auch mal bei Licht zu sehen.
Ueber die nächsten zwei Flüsse wurden tatsächlich Brücken gebaut, obwohl
man noch gut durchlaufen könnte. Die Brücken stehen etwas verloren im
Gelände da kein Weg hinführt. Um zur Brücke zu kommen, muss man
teilweise über richtig grobe Steine klettern.
Kurz hinter der zweiten Brücke beginnt (oder endet) ein Jeeptrack. Ein
wenig folge ich dem Track noch, dann schlage ich mein Zelt mit
wunderbarer Sicht auf den beeindruckend pyramidenförmigen Berg
Kálfatindur auf. Morgen muss ich nur noch dem Jeeptrack bis
Norðurfjörður folgen, das sollte an einem Tag zu schaffen sein.
Hafen von Drangar

Isländer

Drangarvík

Drangarvík

Drangaskörð

Steintor

Hrúteyjarnesmúli

Hvalá

Brücke über den Hvalá

Blick über den Ófeigsfjörður

Schon etwa eine halbe Stunde vom Campingplatz entfernt stoße ich auf einen ca. 20 m breiten knietiefen, ziemlich schnell fließenden Fluss. Entweder gibt es hier irgendwo eine Brücke (sehr unwahrscheinlich) oder hier ist niemand der Meinung, dass so etwas erwähnenswert ist (sehr wahrscheinlich). In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt den Fluss nicht mehr gerade zu durchlaufen sondern, besonders wenn er mir zu schnell
fließt, das Wasser im spitzen Winkel gegen die Strömung zu durchlaufen. Das gibt mir mehr Halt und ein sichereres Gefühl. Gegen die Kälte hilft es die Regenhose anzulassen, nur für die Füße habe ich nichts. Mülltüten sollen da sehr hilfreich sein, habe ich mal gehört, leider habe ich auf diese Wanderung keine mitgenommen. Wie ich es gewöhnt bin erwartet mich keine 50 Meter weiter der nächste Bach. Dieser ist deutlich kleiner als der vorherige, aber wirklich etwas Besonderes. Das Wasser ist warm, ideal geeignet, um die Füße wieder auf Normaltemperatur zu bringen, zum lange darin Stehen bleiben ist das Wasser allerdings zu heiß.
Der Pfad ist jetzt mehr zu erahnen als zu erkennen. Am Anfang sind hier in einigen Abständen Holzstäbe, die den Pfad markieren aufgestellt. Es geht bergauf, je höher ich komme desto vegetationsloser und steiniger wird der Weg. Im gleichen Maße verschwindet der Pfad bis ich auf gelegentliche Schuhabdrücke oder Einstiche von Wanderstäben angewiesen bin. Die Stäbe, die vielleicht alle 50 bis 100 Meter den Weg markiert haben verschwinden zuerst im dichter werdenden Nebel und entfallen dann irgendwann ganz. In den Bergen stehen meist entlang eines Weges Steinhaufen, allerdings in etwas größerem Abstand als die Stäbe. Ich taste mich also langsam per Kompass in Richtung des auf der Karte eingezeichneten Weges vor, freue mich über vereinzelte Schuhabdrücke und Wanderstockeinstiche und suche nach sich schemenhaft im Nebel abzeichnenden Steinhaufen.
Steinhaufen im Nebel in einer Geröllwüste zu suchen kommt mir etwas absurd vor, die Trefferquote ist aber erstaunlich gut. Ganz selten nur entpuppt sich ein vermeintlicher Steinhaufen als ganz natürlicher Stein. Für den Fall, dass es irgendwann gar nicht mehr
weitergeht, habe ich die Trackaufzeichnung an meinem GPS-Gerät
eingeschaltet. Auf diese Weise kann ich in meiner Spur zum Start der Aufzeichnung zurücklaufen. Das ist gewissermaßen die High-Tech Variante von Hänsel und Gretels Brotkrumen oder vom Faden der Ariadne.
Ca. 3,5 Stunden taste ich mich so durch den Nebel bis es endlich sehr steil, sandig und rutschig wieder abwärts geht. Je tiefer ich komme desto mehr lichtet sich der Nebel und gibt langsam den Blick auf den Bjarnarfjörður frei. Sehr schön anzuschauen, aber bei dem Gedanken daran, dass ich da durchlaufen muss tun mir jetzt schon die Füße weh. 1,5 Stunden lang kann ich mich während meines Abstiegs auf das was mich erwartet einstellen und mir schon mal eine Route durch das verästelte Gewässer planen. Von hier oben sieht man ganz gut, wo das Wasser eher flach und wo es vermutlich zu tief ist. Aber schon ein 1 Meter breiter Streifen zu tiefes und schnell fließendes Wasser durchkreuzt jede Planung. Solche Stellen finden sich meist am Ufer und sind von hier oben
schlecht zu sehen. Dann heißt es erst mal wieder den Fluss ablaufen bis man eine geeignete Stelle findet. Im schlimmsten Fall muss man wieder zurück. Nach weniger als einer Stunde ist auch der Fluss durchquert.
Von hier an erinnert mich der Untergrund sehr an ein Teilstück meiner Spitzbergenwanderung, große Steine bedeckt von 20 cm dickem Moos. Nach weiteren 2 Stunden stoße ich tatsächlich wieder auf einen erkennbaren Pfad und mein Marsch wird bedeutend einfacher. Noch eine Furt (ca. 30 cm tief und vielleicht 10 m breit) und ich erreiche mein geplantes Tagesziel ohne weitere Schwierigkeiten. Dort, wo die Hústá ins Meer fließt wollte ich zelten. Für den Fall, dass der Fluss eine weitere Furt ist, wollte ich da heute noch durch und ich kann Wasser für den nächsten Tag nehmen.
Sehr überraschend stoße ich dort auf Menschen, drei oder vier
Sommerhäuser, ein Bootsanleger, zwei Boote und eine kleine Hütte mit Toilette, Waschbecken und Spiegel die ich benutzen kann. Hier sind 9 Menschen in Drangar, so heißt dieser Ort. “Völlig überlaufen! Würde ich sagen ;-)” 😉
Betten sind auch in der Hütte, aber nach einem kurzen Blick entscheide ich mich doch für mein Zelt.

Wasserfall

Wasserfall

Fossadalsheiði im Nebel

Bjarnafjörður
Pause nach der Durchquerung des Bjarnafjörður

Bjarnafjörður

Hütte bei Drangar

Hütte bei Drangar

Blick auf den Randarfjall

Ich bleibe heute einen Tag hier, in der Nähe von dem warmen Schwimmbad, Kaffee und Gebäck fühle ich mich so wohl, dass ich auch die Dauerbelästigung durch diese Kampfschwalben ganz gut ertragen kann. Immerhin ist es ja auch faszinierend den geschickten Flugmanövern zu zusehen.

Ich nutze den Tag um meine Sachen zu trocknen, die nächsten Tagesetappen zu planen und mir bei Reimer, der heute auch hier ist, ein paar Hinweise für die weitere Strecke zu holen. Vom Campingplatz aus habe ich die Möglichkeit die Fossadalsheiði zu überqueren oder außen rum zu laufen. Außen rum ist es “more beautiful” direkt rüber soll es “safer” sein und “better to find” vor allem bei schlechter Sicht.

OK, da fällt die Entscheidung leicht. Beautiful war es bisher mehr als genug, was das angeht ist mein Bedarf gedeckt. “Safe” das wäre echt mal angenehm. Mit Nebel und schlechter Sicht rechne ich sowieso. Also werde ich morgen über den Berg gehen. Danach kommt der Bjarnarfjörður, dass ist die zweite Stelle, nach der “Niedrigwasserstrecke” auf dieser Tour die mir etwas Sorgen macht. Auf der Karte sieht das so aus, als ob ich durch den Fjord schwimmen soll, über 500 Meter oder so… Das kann doch wohl nicht so gemeint sein, oder? Reimer beruhigt mich. Das ist eine ganz normale und harmlose Furt, mehr als knietiefes aber langsam fließendes Wasser, nach der Furt im Þaralátursfjörður überhaupt kein Problem. Da das Stück auf der Karte so unglaublich lang aussieht bin ich mir da noch nicht so sicher, aber ich werde es ja zu sehen bekommen.

In Reykjarfjörður gibt es zwei berühmte Steine. Der eine ist berühmt, weil er interessant aussieht (der hat sogar einen Namen), der andere wurde von Mick Jagger angepisst.

Der Campingplatz ist nur per Boot oder auch per Flugzeug zu erreichen. Es gibt eine kleine Landebahn und einen Bootsanleger. Man kann natürlich auch hin wandern oder reiten, aber eine Straße gibt es nicht.

Ragnar Jakobsson führt hier mit seiner Frau im Sommer den Platz. Eigentlich führt sie den Platz und er repariert alles Mögliche was über den Winter kaputt gegangen ist bzw. legt neue Wasserleitungen und er holt immer das Gepäck vom Bootsanleger ab, wenn Reimer wieder mit neuen Campinggästen kommt. Daneben ist er offiziell beauftragter Polarfuchsjäger und jagt Polarfüchse, um die Küstenseeschwalben zu schützen. Die Polarfüchse nehmen in den Westfjorden überhand. Ich persönlich würde eher die Polarfüchse vor diesen aggressiven Kampfvögeln schützen wollen.

Ragnar Jakobsson ist, wie mir von mindestens 4 verschiedenen Leuten gesagt wurde, der erste Mensch der das Horn – also diese 400 Meter hohe Steilküste in Hornbjarg – “von See her kommend” hochgeklettert ist. Damals war er 22 Jahre alt, saß mit seinem Bruder im Ruderboot und meinte: “Ich klettere da jetzt hoch!” Die beiden sind irgendwie an die Klippen gefahren und er ist die 400 Meter hochgeklettert. Ohne Sicherungsleine und in Gummistiefeln. Von ihm konnte ich dazu nichts erfahren, er redet nicht viel, zumindest nicht mit mir, ich glaube er hat mit “Pauschaltouristen” nicht viel im Sinn, ist halt ein echtes Original. Er spricht wohl auch kein Englisch. Seine Frau redet mit mir, spricht aber auch kein Englisch. 😉

Nett und irgendwie besonders sind alle Menschen die ich hier treffe, kein Wunder bei diesem besonderen Ort.

Reimer fährt mit seinem Boot im Sommer die “Orte” Látravík (der wunderbare Leuchtturm), Bolungarvík (das Guesthouse wo keiner war), Reykjarfjörður (der Campingplatz mit dem warmen Schwimmbad) und Drangar (da werde ich wohl noch hinkommen) an und versorgt die Menschen dort mit dem Nötigsten und setzt gelegentlich Wanderer dort aus. Gelegentlich klettert er auch zusammen mit dem zweiten Mann an Bord an den Steilküsten rum. Heutzutage macht man so etwas aber nicht mehr in Gummistiefeln. Im Winter gehen die beiden mit dem Boot fischen.

Rocks in Reykjarfjörður

heißes Schwimmbad in Reykjarfjörður

Reykjarfjörður

Wetterstation in Reykjarfjörður

Küstenseeschwalben sollen geschützt werden, deshalb werden hier die Polarfüchse geschossen. Für jeden Schwanz gibt es 100 Euro.

Küstenseeschwalben sind eine hyperaktive und aggressive Tierart. Die schnattern, schreien, fliegen und kämpfen den ganzen Tag ohne Unterbrechung. Morgens vor 5:00 Uhr geht das Schauspiel los. Ich glaube, die klauen sich im Flug gegenseitig das Futter aus dem Schnabel. Ich habe einen Jungvogel gesehen der schon etwas fliegen konnte. Immer wenn ein Altvogel einen kleinen Fisch für den Jungvogel abgelegt hat, kommt ein anderer Vogel im Sturzflug angeschossen. Der Altvogel nimmt den Fisch wieder auf und fliegt, verfolgt von dem Angreifer, davon. Die nachfolgende Verfolgungsjagd, von Luftkämpfen unterbrochen, nimmt sobald kein Ende. Irgendwann kommt er wieder mit einem Fisch und genau das Gleiche beginnt von vorne. Meiner Meinung nach müssten die alle längst verhungert sein.

Beeindruckend ist, dass sie den Sommer in der Arktis (Nordpol) und den Winter in der Antarktis (Südpol) verbringen “also eigentlich auch den Sommer”. Die Strecke dazwischen durchfliegen sie mit mehr als 180 km am Tag. Nach dem was ich hier gesehen habe fliegen sie die 180 km “sinnlos” im Kreis innerhalb von 3 Stunden.

In ihrer hektischen und hyperaktiven Art finde ich sie eher nervig. Wehe man kommt ihnen oder ihrem Gelege zu nahe, man wird gnadenlos attackiert. Sie stoßen auf dich herab und schnattern dabei wie ein Kampfflieger mit Maschinengewehr. Dabei stoßen sie mit dem Schnabel nach deinem Kopf. Durch “Stockhochhalten” gibt man ihnen ein unbedenkliches Angriffsziel, da sie immer den höchsten Punkt angreifen (Diese, hier sehr nützliche Information habe ich noch aus Spitzbergen mitgebracht). Als zweite Methode Angreifer zu vertreiben, scheißen sie den Angreifer gezielt an und sie zielen Scheiße gut.

Küstenseeschwalbe mit Beute

Küstenseeschwalben mit Beute

Küstenseeschwalbe mit Beute

Küstenseeschwalben

Küstenseeschwalben

Küstenseeschwalben

Küstenseeschwalbe

Küstenseeschwalbe

(Jede Menge schöne Fotos von Küstenseeschwalben habe ich auch bei meiner Reise durch Schweden machen können Küstenseeschwalben: Schweden 2008)

Heute möchte ich den Campingplatz in Reykjarfjörður erreichen. Dort habe ich mir auf der Hinfahrt ein Depot mit Lebensmitteln für die nächsten drei Tage hinterlegt. Bis dahin muss ich jetzt nur noch über zwei Berge. Der zweite ist nicht besonders beeindruckend, aber der erste ist ziemlich hoch und ich kann jetzt schon sehen, dass er in dichtem Nebel liegt.

Ich mache mich auf den Weg. Verglichen mit den Bergen von gestern erweist dieser sich glücklicherweise als Spaziergang. Also keine Hindernisse mehr zwischen mir und meinem Depot und den netten Leuten mit Kaffee und Gebäck?

In Þarlátursfjörður werde ich eines Besseren belehrt. Ich stoße auf Flüsse die mich einige Überwindung kosten. Mit meinem Wanderstock vor jedem Schritt die Wassertiefe prüfend, die Füße langsam vorwärts schiebend ohne dabei den Bodenkontakt zu verlieren damit mich die Strömung nicht umreißt, taste ich mich langsam durch den Fluss. Mit dem Gefühl abgestorbener Zehen komme ich am anderen Ufer an. Nur um nach ein paar Schritten festzustellen, dass mich noch mal ein Fluss vom gleichen Kaliber erwartet. Erst mal wieder auf und ab laufen, um eine günstige Stelle zu finden und dann wieder rein ins Vergnügen. Die kleinen Bäche von gestern waren eigentlich nicht erwähnenswert.

Noch ein kleiner Berg und ich komme in Reykjarfjörður an. Es gibt wieder Kaffee und Gebäck und als ich endlich nachts um 00:00 Uhr im dichten Nebel in das aus einer heißen Quelle gespeiste badewannenwasserwarme Schwimmbad steige, ist das Gefühl unbeschreiblich wie die Zehen langsam wieder auftauen.

Svartasharoð

Furufjörður

Auf dem Svartasharoð im Nebel

Auf dem Svartasharoð im Nebel

Auf dem Svartasharoð im Nebel
Das ist mein Wanderstab und dahinter würde man, vermute ich, den Drangajökull sehen wenn es nicht so neblig wäre. Der “Weg” ist hier auch ganz gut zu erkennen.

Þaralátursfjörður

Campingplatz Reykjafjörður

Ich muss bei Regen aufstehen und mich fertig machen, schade! Mit dem schönen Wetter ist es wohl erst mal vorbei. Der Weg ist ähnlich wie gestern, steil rauf und steil wieder runter, in den Tälern dazwischen ist fast immer eine Furt. Furten wird zur Routine, Sandalen an und den Bach durchqueren . Etwas unglücklich bin ich noch bei den Wasserläufen bei denen ich den Grund nicht sehen kann, weil sie zu tief sind und/oder zu viele Sedimente mit sich führen. Da wären Wanderstöcke mal wieder hilfreich. Der Boden ist durch den Regen aufgeweicht. An den steilen Stücken daher ziemlich rutschig, in den Tälern matschig. Ich sinke tief ein beim Gehen. Zu tief für meine Wanderschuhe, so nach und nach läuft das Wasser “schrittweise” von oben in die Schuhe. Schade, extra vorher gründlich eingefettet, die Furten immer brav in Sandalen durchlaufen und jetzt habe ich trotzdem nasse Schuhe.

Gleich stoße ich auf das erste, richtig spannende Wegstück. Ca. 3 km, die ich laut Karte nur bei Niedrigwasser durchlaufen kann. Die Zeiten für die Gezeiten sind mir bekannt. Kurz vor dem Wegstück sollte ich eine Art bewirtete Hütte finden. Dort möchte ich noch mal fragen, wann ich am Besten losgehe und ich hoffe dort noch einen Kaffee zu bekommen. In dem Tal finde ich Tonnen von Treibholz, darunter ein perfekt als Wanderstock für mich geeignetes Stück und die Hütte. Leider ist Niemand dort und die Hütte ist verschlossen.

Also los, nach meinen Informationen sinkt der Wasserstand gerade. Das sollte wohl die beste Zeit sein. Der Weg ist jetzt nicht mehr markiert oder irgendwie zu erkennen.

Das Meer links von mir, die senkrechten Klippen rechts und ich auf dem schmalen Streifen dazwischen den das Meer in den letzten 1,5 Stunden freigegeben hat. Ich laufe über rutschiges Geröll und scharfkantige Steine die von den Klippen gefallen sind… ein Punkt der mir zu denken gibt. Gelegentlich muss ich über Ansammlungen von größeren Brocken klettern. Seetang der auf den Steinen liegt ist rutschig wie Schmierseife. Insgesamt ist das hier kein Ort wo ich mir ein Bein brechen möchte. Eigentlich ist das überhaupt kein Ort wo man gerne sein möchte, aber die Felsen im Meer und die Klippen aus dieser ungewohnten Perspektive sehen schon faszinierend aus.

Nach einer besonders mühseligen Kletterpartie ist vorläufig Schluss. Ich habe keine Chance weiter zu kommen. Die Klippen vor mir stehen noch im Meer. Ich kann nicht mal ahnen wie weit das Wasser noch sinken muss. Warten an diesem ungemütlichen Ort ist eine besondere Herausforderung für meine Nerven. Wenigstens stelle ich mit der Zeit fest, dass das Wasser wirklich gerade sinkt. Ungemein beruhigend!

Nach ca. 1,5 Stunden, ich kann mittlerweile den Grund an der fraglichen Stelle sehen, reicht es mir mit der Warterei. Ich passe die Wellen halbwegs geschickt ab und komme durch. Die Schuhe waren ja eh schon nass. Von jetzt an wird der Weg am Meer entlang nach und nach gemütlicher. Dieses Stück wollte ich heute unbedingt noch hinter mich bringen. Unmittelbar dahinter baue ich mein Zelt auf. Es hat den ganzen Tag geregnet, abgesehen von einem Paar warmer Socken und dem Schlafsack ist alles nass. Bei ca. 5°C fühle ich mich nicht gerade behaglich. Der Tag war spannend und interessant, aber für morgen wünsche ich mir mal besseres Wetter.

Wasserfall an den Klippen

Der Wasserfall aus der Nähe

kleiner Wasserfall am Weg

Skarðsfjall

Bolungarvík

Treibholz aus Sibirien bei Bolungarvík

Felsnadel bei Bolungarvík

Nach meinem Tagesausflug und dem Abschied von der Familie in Látravík mache ich mich auf den Weg. Ich folge einem schmalen Trampelpfad, der teilweise schlecht zu erkennen ist, zunächst einen ziemlich steilen Berg hinauf, die Aussicht ist atemberaubend. Der Weg auch, mit dem ganzen Gepäck ist das eine schweißtreibende Aktion. Der Pfad folgt dann den Klippen. Wunderbare Sicht, aber mit manchmal weniger als 1 Meter Abstand zu den Klippen, etwas gewöhnungsbedürftig. So steil wie es rauf ging geht es auch wieder runter. Das ist auch nicht einfacher! Wanderstöcke wären wirklich hilfreich. Unten erwartet mich ein Bach. Ein Baumstamm mit einem darüber gespannten Seil soll die Überquerung vereinfachen. Ich begutachte diese Behelfsbrücke gründlich und ein wenig skeptisch und versuche mich vorsichtig daran. Nach ein paar Versuchen muss ich einsehen, dass ich mit meinem Rucksack auf diesem Baumstamm kein Gleichgewicht halten kann. Ich gebe auf bevor ich mir noch nasse Füße und vor allem nasse Schuhe hole. Damit ist dieser Bach also meine erste Furt. Sandalen anziehen, Hose hochkrempeln und durchwaten. Das Wasser ist nur etwas mehr als knöcheltief aber schmerzhaft kalt.

Wenig später finde ich einen schönen, etwas windgeschützten Platz und beende den heutigen Tag mit Polarfüchsen die mir fast ins Zelt folgen sehr glücklich und zufrieden.

Abschied von den freundlichen Menschen in Látravík

Lighthouse Látravík

Das ist die letzte Brücke für die nächsten Tage

cliffs near Hornbjarg

Der Pfad an den Klippen

Nachtlager am Bach

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