Schon etwa eine halbe Stunde vom Campingplatz entfernt stoße ich auf einen ca. 20 m breiten knietiefen, ziemlich schnell fließenden Fluss. Entweder gibt es hier irgendwo eine Brücke (sehr unwahrscheinlich) oder hier ist niemand der Meinung, dass so etwas erwähnenswert ist (sehr wahrscheinlich). In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt den Fluss nicht mehr gerade zu durchlaufen sondern, besonders wenn er mir zu schnell
fließt, das Wasser im spitzen Winkel gegen die Strömung zu durchlaufen. Das gibt mir mehr Halt und ein sichereres Gefühl. Gegen die Kälte hilft es die Regenhose anzulassen, nur für die Füße habe ich nichts. Mülltüten sollen da sehr hilfreich sein, habe ich mal gehört, leider habe ich auf diese Wanderung keine mitgenommen. Wie ich es gewöhnt bin erwartet mich keine 50 Meter weiter der nächste Bach. Dieser ist deutlich kleiner als der vorherige, aber wirklich etwas Besonderes. Das Wasser ist warm, ideal geeignet, um die Füße wieder auf Normaltemperatur zu bringen, zum lange darin Stehen bleiben ist das Wasser allerdings zu heiß.
Der Pfad ist jetzt mehr zu erahnen als zu erkennen. Am Anfang sind hier in einigen Abständen Holzstäbe, die den Pfad markieren aufgestellt. Es geht bergauf, je höher ich komme desto vegetationsloser und steiniger wird der Weg. Im gleichen Maße verschwindet der Pfad bis ich auf gelegentliche Schuhabdrücke oder Einstiche von Wanderstäben angewiesen bin. Die Stäbe, die vielleicht alle 50 bis 100 Meter den Weg markiert haben verschwinden zuerst im dichter werdenden Nebel und entfallen dann irgendwann ganz. In den Bergen stehen meist entlang eines Weges Steinhaufen, allerdings in etwas größerem Abstand als die Stäbe. Ich taste mich also langsam per Kompass in Richtung des auf der Karte eingezeichneten Weges vor, freue mich über vereinzelte Schuhabdrücke und Wanderstockeinstiche und suche nach sich schemenhaft im Nebel abzeichnenden Steinhaufen.
Steinhaufen im Nebel in einer Geröllwüste zu suchen kommt mir etwas absurd vor, die Trefferquote ist aber erstaunlich gut. Ganz selten nur entpuppt sich ein vermeintlicher Steinhaufen als ganz natürlicher Stein. Für den Fall, dass es irgendwann gar nicht mehr
weitergeht, habe ich die Trackaufzeichnung an meinem GPS-Gerät
eingeschaltet. Auf diese Weise kann ich in meiner Spur zum Start der Aufzeichnung zurücklaufen. Das ist gewissermaßen die High-Tech Variante von Hänsel und Gretels Brotkrumen oder vom Faden der Ariadne.
Ca. 3,5 Stunden taste ich mich so durch den Nebel bis es endlich sehr steil, sandig und rutschig wieder abwärts geht. Je tiefer ich komme desto mehr lichtet sich der Nebel und gibt langsam den Blick auf den Bjarnarfjörður frei. Sehr schön anzuschauen, aber bei dem Gedanken daran, dass ich da durchlaufen muss tun mir jetzt schon die Füße weh. 1,5 Stunden lang kann ich mich während meines Abstiegs auf das was mich erwartet einstellen und mir schon mal eine Route durch das verästelte Gewässer planen. Von hier oben sieht man ganz gut, wo das Wasser eher flach und wo es vermutlich zu tief ist. Aber schon ein 1 Meter breiter Streifen zu tiefes und schnell fließendes Wasser durchkreuzt jede Planung. Solche Stellen finden sich meist am Ufer und sind von hier oben
schlecht zu sehen. Dann heißt es erst mal wieder den Fluss ablaufen bis man eine geeignete Stelle findet. Im schlimmsten Fall muss man wieder zurück. Nach weniger als einer Stunde ist auch der Fluss durchquert.
Von hier an erinnert mich der Untergrund sehr an ein Teilstück meiner Spitzbergenwanderung, große Steine bedeckt von 20 cm dickem Moos. Nach weiteren 2 Stunden stoße ich tatsächlich wieder auf einen erkennbaren Pfad und mein Marsch wird bedeutend einfacher. Noch eine Furt (ca. 30 cm tief und vielleicht 10 m breit) und ich erreiche mein geplantes Tagesziel ohne weitere Schwierigkeiten. Dort, wo die Hústá ins Meer fließt wollte ich zelten. Für den Fall, dass der Fluss eine weitere Furt ist, wollte ich da heute noch durch und ich kann Wasser für den nächsten Tag nehmen.
Sehr überraschend stoße ich dort auf Menschen, drei oder vier
Sommerhäuser, ein Bootsanleger, zwei Boote und eine kleine Hütte mit Toilette, Waschbecken und Spiegel die ich benutzen kann. Hier sind 9 Menschen in Drangar, so heißt dieser Ort. “Völlig überlaufen! Würde ich sagen ;-)” 😉
Betten sind auch in der Hütte, aber nach einem kurzen Blick entscheide ich mich doch für mein Zelt.

Wasserfall

Wasserfall

Fossadalsheiði im Nebel

Bjarnafjörður
Pause nach der Durchquerung des Bjarnafjörður

Bjarnafjörður

Hütte bei Drangar

Hütte bei Drangar

Blick auf den Randarfjall