Heute Nacht gegen 23:30 Uhr kommt der Hotelbesitzer aus Agadir mit einem großen, voll beladenen Lastwagen zurück. Sie fangen auch sofort mit Entladen an, hunderte von Stühlen, Bänken usw. werden in großer Eile abgeladen. Es dauert eine Weile, bis ich trotz der Geräuschkulisse wieder einschlafen kann. Als ich dann am frühen Morgen, nach kurzem Schlaf wieder aufwache hat der Geräuschpegel immer noch nicht nachgelassen, er hat sich nur etwas verändert. Bei einem Blick aus dem Fenster stelle ich fest, dass über Nacht ein riesiges Festzelt im Hinterhof des Hotels aufgestellt wurde.

Beim Frühstück erfahre ich, dass Mahfouds (der Hotelbesitzer) Eltern heute aus Mekka zurückkommen. Der Haddsch, zu dem jeder volljährige Muslim (Männer und Frauen) einmal im Leben verpflichtet ist, ist ein ganz großes Ereignis, das bei der Rückkehr gebührend gefeiert wird. Ein Muslim, der sich die kostspielige Reise nicht leisten kann, ist von der Verpflichtung entbunden.
Zur Feier, zu Ehren der Haddsch von Mahfouds Eltern sind viele Freunde und Verwandte angereist. Die Feier wird fünf Tage andauern. Mahfoud ist gestern nach Agadir gefahren, hat das Zelt geholt und dann die ganze Nacht mit aufgebaut. Jetzt geht die Feier los und er konnte noch nicht eine Minute schlafen, was man ihm wirklich ansieht. Die nächsten Tage wird sich daran nicht viel ändern. Als ältester Sohn trägt er eine große Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Feier. Ich habe den Eindruck, dass er dringend Urlaub braucht wenn das hier vorbei ist.

Den Tag verbringe ich heute, abgesehen von einem kurzen Rundgang durch Talliouine und einer Stunde im Internetcafe, auf der Hotelterrasse mit einer Französin aus dem Baskenland, einem lokalen Bergführer und zwei ebenso lautstarken wie schwer zu verstehenden Franzosen aus dem Elsass.

Kommunikation kann etwas wunderbares sein. Wenn einem die Worte fehlen, um genau die Stimmung, das Gefühl oder den Sachverhalt zu beschreiben den man vermitteln möchte, dann kann man mit Worten Bilder „malen“ und erst dieses Bild transportiert dann die Aussage. Künstler malen Bilder oder schaffen Skulpturen, um ein Gefühl darzustellen was sich mit Worten kaum oder gar nicht mehr beschreiben lässt. Wir sitzen hier und diskutieren stundenlang, wobei wir immer wieder mit kleinen Zeichnungen die Sachverhalte verdeutlichen, die unsere gemeinsamen Sprachkenntnisse bei weitem überschreiten. Die beiden Franzosen aus dem Elsass sprechen zwar ein paar Brocken Englisch, aber so ungewöhnliches Französich, dass die Französin aus dem Baskenland kaum ein Wort versteht. Am einfachsten hat es wohl der marokkanische Bergführer, der Französisch, Englisch und auch ziemlich gutes Deutsch spricht. Insgesamt ist das hier eine sehr interessante und auch lustige Runde Montagsmaler, Scharade oder Activity.

OK! Ich bin lange genug hier gewesen und habe meine Spuren hinterlassen. Zumindest die kleine Bettelkatze, die mir hier auf der Terrasse bei jeder Mahlzeit Gesellschaft geleistet hat wird mich vermutlich vermissen. Wovon lebt die eigentlich, wenn ich nicht hier bin? Das frage ich mich schon die ganzen letzten Tage. Aber vielleicht hat sie ihr gebrochenes Bein ja auch nur vorgetäuscht und kaum, dass ich weg bin geht sie wieder munter Mäuse jagen.

Ich gehe zeitig schlafen, Schlaf finde ich allerdings erstmal nicht. Ich lausche lange Zeit der Geräuschkulisse der Familienfeier, den gemeinsam angestimmten Liedern und vor allem dem andauernden, leidenschaftlichen aber recht unrhythmischen Gebrauch der Handtrommeln (vermutlich durch spielende Kinder). Für eine Weile ist diese Geräuschkulisse sehr angenehm, irgendwie beruhigend und friedlich. Die Leute sind glücklich, der Singsang ist melodisch und wirkt auf mich fast meditativ. Das Getrommel stört etwas, nach einer Weile stört es etwas mehr. Bis ich, zum ersten Mal auf Tour überhaupt, zu meinen Ohrstöpseln greife.

Die Ohrstöpsel sind ein schon beinahe von meiner Ausrüstungsliste verschwundener Bestandteil. Jetzt kommen sie zum ersten Mal zum Einsatz und die Wirkung ist überraschend. Kaum habe ich mir die Ohren verstopft und mich wieder hingelegt herrscht absolute Ruhe, kein noch so kleiner Laut dringt mehr zu mir durch. Das sie so gut wirken hätte ich wirklich nicht gedacht und ich entferne sie noch mal, um den Unterschied zu hören….. Die Party ist vorbei, auch ohne Ohrstöpsel höre ich nichts mehr, keiner singt, keine Kinder trommeln…. Das ist dann wohl so eine Art Regenschirmeffekt. Prima! Die Ohrstöpsel kommen auch auf die nächste Tour mit!