31.08.2010 – 06.09.2010

Montbel -> Puivert -> Tarascon sur Ariege -> Vicdessos

205 km


Frankreich ist nicht Deutschland, überhaupt nicht. Die Unterschiede sind größer als ich vermutet hätte und dies wird ein Versuch meine Beobachtungen dazu in Worte zu fassen.

Bestandsschutz wird in Frankreich sehr intensiv praktiziert. Während in Deutschland das Bedürfnis vorherrscht Altes durch Neues zu ersetzen weil es nicht mehr zeitgemäß ist, wird in Frankreich nach meiner Beobachtung altes erst ausgetauscht, wenn es seine Funktion wirklich nicht mehr erfüllt. Die alten Gemäuer werden oft durch schwere alte Holztüren und über abgewetzte Steinstufen betreten, die Fliesen und Kacheln haben manche Geschichte zu erzählen und nicht selten befinden sich in den Gebäuden Einrichtungen und Gebrauchsgegenstände aus einem anderen Jahrhundert. Eigentlich fehlt hier an vielen Häusern nur noch das Schild mit der Aufschrift „Museum“. In vielen Orten kommt unweigerlich das Gefühl auf in ein anderes Jahrhundert versetzt worden zu sein. Die Altstadt von Guérande oder der Ort Noyers könnten gute Filmkulissen abgeben. Wenn allerdings eines dieser schönen alten Natursteingebäude repariert werden muss, dann werden oft die brüchig gewordenen Abschnitte des Gemäuers mit normalen, modernen Steinen ausgebessert. Das ist eine Kostenfrage, mit Natursteinen zu mauern ist eine Kunst, die auch hier kaum noch jemand beherrscht.

Diese, recht lieblos geflickten Häuser und die ebenfalls mit mordernem Mauerwerk erstellten Anbauten und Erweiterungen, die oft unverputzt, einen groben, (Stein)-grauen Kontrast zu dem Natursteinmauerwerk direkt daneben bilden, der bröckelnde Putz und die oft großflächigen Abplatzungen, die das darunter liegende Mauerwerk – mal hübsch und (Stein)-alt, mal einfach nur grau und funktional – wieder zum Vorschein bringt, die brüchigen Fensterbänke, die hölzernen Fensterläden und die eisenbeschlagenen, hölzernen Tore und Türen mit den rostigen Beschlägen, von denen die mit der Zeit blass gewordene Farbe abblättert. All dies, wirkt etwas ungewöhnlich auf jemanden der an den deutschen Renovierungswahn gewöhnt ist. Einen Kontrast zu dieser Schluderigkeit – wenn man es so nennen möchte – stellen die stets sauber gefegten Straßen und die sehr gründlich gereinigten und gemähten Randstreifen der Straßen. Mir scheint, in Frankreich wirft kaum jemand seinen Müll auf die Straße, kaum etwas wird beschmiert oder demoliert.

Und dann die Blumen! Für Blumenschmuck findet der Franzose immer und überall ein Plätzchen. Egal wie, egal wo, aber überall blüht die bunte Blumenpracht. Auf fast jeder Brücke sind am Geländer Blumenkästen angebracht und manche Häuser sind über und über mit hübschen blühenden Blumen geschmückt. Irgendeine Nische findet sich immer wo man noch ein paar Blümchen hinstellen kann. Die Orte bekommen Blumenpunkte verliehen und am Ortseingang kann man immer schon sehen wie schön der Ort geschmückt ist. An den Eingangsschildern steht immer wie viele Blumenpunkte der Ort bekommen hat. Ist so was wie in Deutschland das „Unser Dorf soll schöner werden“-System.

Höflichkeit: Die Franzosen sind nett und hilfsbereit, aber sehr diskret, wenn man es positiv ausdrücken möchte, negativ ausgedrückt könnte man sie als desinteressiert bezeichnen. Die Franzosen gaffen nicht, überhaupt nicht und sie stellen keine Fragen. Sie möchten aber auch nicht angegafft werden. Die Franzosen sind nicht neugierig und wahren die Privatsphäre. Das ist für mich als Radler schön, weil ich keine Aufmerksamkeit errege, aber es ist auch schlecht, weil ich hier weniger mit Menschen in Kontakt komme als auf meinen anderen Reisen. Also weniger heißt nicht, gar nicht, aber wenn ich angesprochen werde dann ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Tourist oder ein Zugereister. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber es ist auffällig. Sie sind sehr stolz auf sich, ihr Land und ihr Volk, sehr überzeugt von sich und eben auch auf sich konzentriert. Franzosen mögen es nicht zu bedienen. Auch Kellner belästigen ihre Gäste nicht gerade. Auch als Gast wird man in Ruhe gelassen. Das ist ihre Diskretion und auch ihr Stolz, sie rennen dem Gast nicht hinterher, man muss reden, wenn man was will… und das bitte in der gebotenen Form. Sie sind nett und höflich solange man selber nett und höflich ist. Eine unhöfliche gestellte Frage, eine gebellte Forderung fordert den Franzosen heraus. Als Deutscher mit sehr mäßigem Französisch musste ich da ein wenig Erfahrung sammeln. Ein gestammeltes „Ich will Essen!“ oder ein „Ich will Wasser!“ wird verneint, mit Missachtung gestraft, oder man wird zumindest recht abweisend behandelt. Wie viel anders wirkt da ein freundlich hervorgebrachtes „Könnten Sie mir höflicherweise bitte ein wenig Wasser geben?“. Das aber ist eigentlich keine speziell französiche Eingenart, eigentlich sind sich da alle Menschen ähnlich, wird man freundlich und höflich angesprochen reagiert man auch gleich viel freundlicher, hilfsbereiter, aufgeschlossener und höflicher. Wenn man nur in der Lage ist „Gib mir Essen/Wasser/Kaffee!“ zu bellen, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man sein Gegenüber erstmal vor den Kopf stößt und in der Folge eher abweisend behandelt wird. In Frankreich ist das nur vielleicht etwas ausgeprägter als ich es gewöhnt bin.

Radfahren:

Das Rad ist in Frankreich ein Sportgerät. Fast alle radfahrenden Franzosen sind mittelalte bis sehr alte Männer auf Rennrädern im Rennfahrerdress. Diese Radsportler sind in Vereinen organisiert und fahren meist im Rudel (Pulk). Das Rad als Fortbewegungsmittel dagegen, ist kaum verbreitet, kaum ein Franzose fährt mit dem Rad zum Einkaufen oder einfach von A nach B, noch weit weniger als in Deutschland. Reiseradler treffe ich in Frankreich auch nur sehr wenige. Hier in den Bergen sind Rennradreisende unterwegs, überwiegend Franzosen gefolgt von Amerikanern. Einige fahren mit Minimalgepäck, also meine Werkzeugtasche ist schwerer, und die Reise geht von Pass zu Pass und von Hotel zu Hotel. Andere fahren in Gruppen mit Gepäcktransport wobei sich Auto- und Radfahrer von Tag zu Tag abwechseln. Reiseradler mit Packtaschen sind hier in den Pyrenäen nicht oft anzutreffen.

Campingplätze: Ich vermute, dass Frankreich die höchste Campingplatzdichte überhaupt hat. Kaum ein Ort ohne „Camping Municipal“, ein offizieller Campingplatz, meist ohne besonderen gehobenen Standard, dafür etwas günstiger als die privaten Campingplätze, die es oft noch zusätzlich gibt. Genau das richtige für einen Radler auf der Durchreise, günstig und alles was man wirklich braucht ist vorhanden. Besonderen Luxus, den man eh kaum nutzen kann wenn man nur eine Nacht bleibt, gibt es nicht. Zusätzlich zu den vielen Campingplätzen gibt es vielerorts Wohnmobilstellplätze, die sind kostenlos und auch als Zelter für eine Nacht kann man sich hier hinstellen. Es gibt ein Stück Wiese, wo man sich hinstellen kann, Wasser und Toiletten und  manchmal sogar Duschen, sonst nichts. Die Bevölkerungsdichte ist auf dem von mir bereisten Stück recht gering und als Wildzelter fällt man nicht weiter auf, bzw. wird nicht beachtet. Solange man sich ruhig verhält, keinen Dreck macht und keinen Schaden anrichtet und solange man zeitig wieder verschwindet, sich also so verhält wie es sich gehört hat nach meiner Erfahrung keiner was dagegen.

Essen wie Gott in Frankreich. Da ist was dran. In Frankreich wird gut und gerne und sehr fantasievoll und lecker gekocht. Das französiche Volk ist ein Volk von Gourmets und keinesfalls eines von Gourmands. Übergewichtige Menschen sind äußerst selten, der Durchschnittsfranzose ist eher schlank. Die Meeresfrüchte-Stände sind sehr belebt und zwar sowohl von Käufern vor der Theke als auch von den Auslagen auf der Theke. Die Krabben, Hummer, Muscheln, Austern und Schnecken leben noch während sie -mehr oder weniger geduldig- auf den Märkten und in den Supermärkten auf ihren Genießer warten. Die Käsevielfalt, die zahlreichen guten Pasteten und natürlich der Wein runden das Essen und auch das Bild von der französischen Küche und Lebensart ab.

Die Franzosen, ihr Land und ihre Lebensart sind mir, zugegebenermaßen nach einer gewissen Gewöhnungsphase, sehr angenehm und sympathisch und ich fühle mich sehr wohl in „la belle france“, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass man es als Ausländer in Frankreich recht schwer hätte, wenn man hier auf Dauer Fuß fassen möchte.

Wildschweine haben hier im Maisfeld den Mais gefressen