Radtour


Wanderung über den Jebel Tasghimout

Heute lasse ich mich von einem Bergführer (Hassan) über den Jebel Tasghimout führen. Die Besteigung des Jebel Toubkal lässt sich als anstrengende Zweitagestour bewerkstelligen, theoretisch sogar in einem Tag hin und zurück. Aber für mich ist das nichts. Ich glaube nicht, dass ich abgesehen von erheblichen Kosten und ebenso erheblichem Muskelkater viel davon hätte. Die Wanderung über den Tasghimout ist entspannt zu schaffen.

Wir gehen zuerst durch das Dorf und machen noch einen kurzen Stop bei Hassan zu Hause. Sein Vater sitzt gerade draußen und bereitet „Zahnbürsten“ aus Baumrinde vor. Anstelle von Zahnbürste und Zahnpasta kann man zur Zahnreinigung, neben vielen anderen Methoden auch einfach Baumrinde kauen. Die reinigende Wirkung ist dabei aber abhängig von der Baumart unterschiedlich. Welche Bäume hier in Marokko besonders geeignet sind weiß ich nicht. Hassan’s Vater sagt es mir zwar, aber in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Auf dem größten Hobo-Ofen, den ich bisher gesehen habe wird gerade Wasser gekocht. Nach meinen Versuchen aus kleinen Konservendosen Hobo-Kocher herzustellen (Man kann ja nie wissen, wann der Benzinkocher wieder ausfällt) bin ich von der 10 Liter Version ganz begeistert.

Auf dem Hochplateau treffen wir drei Ziegenhirten, die gerade Tee auf einem kleinen Lagerfeuer kochen und setzen uns dazu. Wir werden auf ein Glas Tee eingeladen und teilen was wir  an Essbarem dabei haben. „Auf ein Glas Tee muss man wörtlich nehmen. Es gibt nämlich nur ein Glas für alle fünf Personen. Als Tourist bekomme ich das Glas als erster. Dass ist aber auch schon die einzige Rücksichtnahme und Beachtung die mir hier zuteil wird. Ich genieße diese Lagerfeuerromantik auf dem Berg.

Beim Abstieg bin ich dann wirklich froh, dass Hassan als Führer dabei ist. Den Pfad hätte ich vermutlich nicht so leicht gefunden und es geht sehr steil über loses Gestein und schroffe Felsen abwärts. Hassan läuft hier herunter als würde er in einer Fußgängerzone spazieren gehen. Ich dagegen weiß oft nicht wohin ich den nächsten Schritt setzen soll.

Wir kommen zurück zu Abderaihns Haus. Er hatte mir schon gesagt, dass er viele Gäste erwaret, die die Beschneidung seines jüngsten Sohnes feiern wollen, aber mit einem derartigen Volksfest habe ich nicht gerechnet. Vor dem Haus spielen zahllose Kinder, die kaum dass wir in Sichtweite kommen auf uns zu kommen und mich „Monsieur Vélo“ nennen. Das Haus ist weit über die statische Belastungsgrenze von feiernden Frauen belagert. Zum Teil ist es mir rätselhaft, wie sich so viele Menschen gleichzeitig in einem Raum aufhalten können. Insgesamt schätze ich, halten sich im Moment mehr als 100 Menschen hier im Haus auf. Sie singen und lachen, kochen Tee und trommeln. Im Flur sind Gaskocher aufgestellt, die im Dauergebrauch sind. Die Teezubereitung wird nur gelegentlich unterbrochen, um die Handtrommeln vorsichtig über der Flamme anzuwärmen. Mein Rad steht unversehrt am Rande des Trubels und die Tür zu meinem Zimmer ist verschlossen. Unter ständigem Grüßen bewege ich mich langsam durch die glücklichen Menschen und mache mich auf die Suche nach Abderaihn, um ihn nach dem Schlüssel zu fragen. Die Feierlaune der Menschen ist ansteckend, am liebsten würde ich mich direkt dazu setzen und mitfeiern oder doch zumindest beobachten. Als ich Abderaihn endlich finde und ihn frage ob das möglich ist, ist er völlig überrascht „Das sind alles Frauen! Willst du etwa bei Frauen sitzen? Da ist kein Mann dabei!“ Er kümmert sich erstmal darum, dass ich etwas zu essen bekomme und sorgt dafür, dass ich in der Rückzugsebene (Dachterasse) einigermaßen meine Ruhe habe. Ein paar Kinder, die sich gerade dort oben aufhalten erheben sofort Anspruch auf mich als Spielkamerad. Nachdem wie gewohnt reichhaltigem Essen werde ich von dem anstrengenden Tag müde, schlängel mich durch die Partygesellschaft zu meinem Zimmer und lege mich schlafen. Die Geräuschkulisse hindert mich nicht im mindesten daran einzuschlafen.

Tizi-n-Test -> Imlil
Tageskilometer: 102,32 km
Höhenprofil: 2100 -> 1000 -> 1800

Meine verträumte Stimmung beim Frühstück knapp über der Wolkendecke wird von den hartnäckigen Versuchen mir mein Handy abzuschwatzen ein wenig beeinträchtigt. „Nein, ich möchte es wirklich nicht gegen einen Teppich tauschen!“ Auch sonst geht mir der ständige Versuch Geschäfte zu machen etwas auf die Nerven. Ich muss hier weg. Echt schade, ein unverbindliches Gespräch ist nicht möglich, alles dreht sich ums Geschäft. Der Ort und das Hotel gefallen mir sehr gut… Aufbruch.

Ich rolle, so langsam ich das auf der Abfahrt hinbekomme, abwärts bis Asni, um dort zu entscheiden nach Imlil abzubiegen. Bei einer Pause vertrödel ich zuviel Zeit und den Anstieg nach Imlil habe ich etwas falsch eingeschätzt. Während allmählich die Sonne untergeht krieche ich langsam auf Imlil zu.

Alleingelassen wird man in Marokko wirklich nicht. Erst hält ein Wagen und der Fahrer gibt mir ein Prospekt von seinem Hotel in Imlil. Dann hält ein alter Coupé, besetzt mit vier Personen. Sie bieten mir an mich mitzunehmen. Ehrlich gesagt frage ich mich wie sie mich, mein Rad und mein Gepäck einladen wollen, nach dem was ich hier schon gesehen habe gehe ich davon aus, dass sie das hinbekommen aber mir ist die Aktion doch zu umständlich, da fahre ich lieber weiter. Inzwischen ist es tiefschwarze Nacht.

Nur ca. 2 km vor Imlil hält wieder ein Wagen und Abderrahim hat einen Wagen in dem ich mich und mein Rad bequem einladen kann. Abderrahim hat auch eine Herberge, er ist mir auf Anhieb sympathisch und eine Nacht für 130 Dirham mit Frühstück und Abendessen klingt im Moment sehr verlockend. Die Herberge liegt nicht direkt in Imlil. Wir fahren noch ein Stückchen über einen unbefestigten Weg und gehen dann noch zu Fuß durch eine enge Gasse und einen Trampelpfad entlang. Auch wenn ich das sichere Gefühl habe, Abderrahim vertrauen zu können, ist die Situtation doch etwas unheimlich. Am Haus begrüßen uns zwei kleine Kinder und seine Frau. Ich habe eine ganze Etage für mich und bekomme ein Abendessen wovon auch 8 Personen satt werden könnten. So sehr ich mich anstrenge, das schaffe ich nicht.

Aoulouz -> Tizi-n-Test
Tageskilometer: 70,54 km
Höhenprofil: 700 -> 2050

Um 4:00 Uhr erwacht in Aoulouz das Leben. Um 4:00 Uhr höre ich die Sammeltaxifahrer zum ersten Mal ihre Fahrtziele ausrufen „TALIOUINE, TALIOUINE, TALIOUINE!!!“ und andere Namen die ich nicht verstehe. Nach einer Weile sind die Taxis voll besetzt und es kehrt für kurze Zeit Ruhe ein, dann wiederholt sich das Spiel. Nach einem Frühstück im Hotel verlasse ich den Ort bei leichtem Nieselregen, der mit der Zeit stärker wird.

Die Fahrt auf den Tizi-n-Test verläuft überraschend gut. Es geht ohne Unterbrechung aufwärts, ich finde einen guten Rhythmus und erklimme den Berg sehr gleichmäßig.

Die Strecke auf den Tizi-n-Test ist beeindruckend, leider habe ich nicht gerade optimale Sicht und irgendwann stecke ich mitten in der Wolkendecke. Bei dichtem Nebel geht es über die schlechter werdende Straße vorbei an schroffen Felswänden. Die wenigen Autos, die mir begegnen fahren vorsichtig, aber das ist trotzdem eindeutig eine Situation für meine Warnweste, die ich sonst in Marokko noch nicht gebraucht habe.

Auf meinem Weg durch den Nebel komme ich an zwei Unterkünften vorbei. Die vor den Häusern sitzenden Männer bedrängen mich nervig und aggressiv dort zu übernachten.

Es ist ein herrliches Gefühl die Wolkendecke zu durchstoßen und wieder blauen Himmel und die gerade untergehende Sonne zu sehen. Es kommt etwas Wind auf und wird frostig kalt. Ein paar hundert Meter weiter liegt auch noch etwas Schnee auf der Straße. Im Hotel Bellvue überzeugt mich das gemütliche Kaminzimmer und ich gönne mir für 200 Dirham (alle Versuche zu handeln scheitern kläglich) ein Zimmer mit Abendessen und Frühstück. Es gibt keine warmen Duschen, aber ich bekomme einen Eimer mit heißem Wasser, das geht auch. Das Abendessen ist lecker und sehr reichhaltig. Der Angestellte, der hier arbeitet geht mir allerdings etwas auf die Nerven, weil er hatnäckig versucht mein Handy gegen einen Teppich zu tauschen bzw. mich zu einer geführten Wanderung zu motivieren.

Tarudant -> Aoulouz
Tageskilometer: 84,88 km
Höhenprofil: 200 -> 700

Mein Zimmertelefon ist doch tatsächlich vom namenhaften schwedischen Hersteller Ericsson und das Model kommt mir noch sehr bekannt vor.

Die Strecke heute ist ruhig, die Dörfer wirken moderner und aufgeräumter als Bergdörfer, durch die ich in den letzten Tagen gefahren bin. Mein Tag verläuft ruhig und entspannt, neben ein paar sehr netten Gesprächen mit verschiedenen Leuten beobachte ich fasziniert ein paar Ziegen beim Grasen. Die Ziegen klettern dazu in die Bäume. In einem Baum zähle ich sieben Ziegen, die teilweise in gut vier Meter Höhe grasen.

In Aoulouz gehe ich ins Hotel Oued Sous. Für 60 Dirham bekomme ich ein großes, recht sauberes Zimmer. Im Hotel gibt es keine Dusche und nur ein Stehklo, das allerdings von den Gästen gut sauber gehalten wird. Auf einer Art Dachterrasse ist ein Waschbecken, wo man sich ein wenig frisch machen kann. Alles sehr einfach, aber ordentlich und in freundlicher Atmosphäre.

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