Ait Ourir -> Sidi Rahal -> Demnate -> Imi’n’Ifri
Tageskilometer: 68,19 km
Höhenprofil: 400 -> 700 -> Taxi auf 900 -> 1100
Ich bin in Afrika. Die Sonne scheint, links und rechts der Straße rotbraune lehmige Erde. Mal Felder auf denen nichts wächst und manchmal kleine ärmliche Häuser, die nicht selten aus eben dieser lehmigen Erde gebaut sind. Die Häuser sind oft umgeben von einem mit einfachsten Mitteln gebautem kleinen Zaun. In diesen so abgegrenzten Gärten steht manchmal ein kleines Sonnenschutzdach aus Stroh für die Tiere. Auch die Ställe und teilweise auch die Häuser haben einfache Strohdächer. Maultiere transportieren verschiedene Waren. Entweder sie ziehen einfachste beladene Karren oder sie tragen die Waren in farbenfrohen Körben, die sie auf den Rücken geschnallt bekommen haben. Oft dienen sie auch als Reittiere. Die Menschen sind sehr freundlich. Ich sehe viele gehobene Daumen, sie grüßen freundlich und winken mir zu. Die Kinder sind besonders enthusiastisch, winken stürmisch und manchmal kommen sie auch angerannt, um mit mir im Vorbeifahren abzuklatschen.
Die Häuser, die Kleidung der Menschen, der überall herumliegende Plastikmüll, die ganzen Lebensumstände der Menschen, die ich jetzt hautnah erleben darf wirken auf mich heute, an meinem ersten Tourtag, erschreckend arm. Eine so deutliche Armut hatte ich so nahe bei Marrakesch nicht erwartet.
Bei wolkenlosem Himmel ist die Sonne hier auch zu dieser Jahreszeit zu heiß für mich. An einem Wasserhahn am Straßenrand sehe ich wie sich ein paar Jugendliche erfrischen, ich halte kurz an und halte auch mal meinen Kopf unter das kalte fließende Wasser. Das tut gut.
Alles was ich hier sehe ist mir fremd, alles ist neu, alles ist anders als ich es kenne. Ich bin etwas verunsichert und gehe Gesprächen mit den Menschen hier heute noch überwiegend aus dem Weg, ich kann mich hier nicht richtig verständigen und weiß im Moment nicht so recht wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll. So etwas nennt man wohl einen Kulturschock. Ich konzentriere mich auf’s Radfahren und darauf meine Umgebung zu beobachten.
Einkaufen in Marrakesch wäre nicht notwendig gewesen. Auf der Strecke sind überall kleine Läden in denen man Lebensmittel kaufen kann. Ich kaufe mir unterwegs noch ein paar Stück Schokolade, die es hier lose und Stückweise zu kaufen gibt und eine Dose Sardinen. Die Läden hier verkaufen alle, wie an einem Kioskschalter zur Straße hin, ohne dass man den Laden betritt, was mir ganz praktisch erscheint. Ein kurzes Gespräch mit dem Verkäufer gehört so eigentlich zu jedem Einkauf, zumindest muss ich dem Verkäufer irgendwie klarmachen was haben möchte.
Mir kommt ein Liegeradfahrer entgegen. Toni aus Frankreich! Toni ist in Frankreich gestartet und er ist schon seit drei Wochen in Marokko. Er fährt weiter durch die Westsahara nach Mauretanien. Wir machen gemeinsam Picknick am Straßenrand, es gibt Schokolade und Obst. Toni möchte, dass ich meine Reiseroute ändere und mit ihm weiterfahre. Das hätte Vorteile für mich, „er kennt sich hier schon aus und spricht französisch“. Das hätte auch Nachteile für mich, „er kennt sich hier schon aus und spricht französisch“, was mach ich denn dann noch?
Meine geplante Route von Demnate nach Quarzazate hält er für nicht machbar, der Berg ist viel zu hoch, da kommt man zu dieser Jahreszeit auf keinen Fall rüber. Auf der Strecke von hier nach Demnate sind ihm mehrere Kinder begegnet, die ihn mit Steinen beworfen haben. Bis Demnate schaffe ich es bestimmt nicht mehr heute und auf der ganzen Strecke bis dort ist es völlig unmöglich zu zelten. Es ist wirklich das beste für mich, wenn ich umdrehe und mich ihm anschließe….
Also Toni! auf dem nächsten Stück erwarte ich nun wirklich keine Kinder, die mit Steinen schmeißen und die Strecke über den Berg kann man mit Sicherheit im Moment problemlos fahren. Ich weiß, dass ein paar Leute schon kurz hinter Sidi Rahal gezeltet haben. Was erzählst du mir da?
Mir ist noch nie ein Solo-Radreisender begegnet, der nach fünf Minuten Gespräch unbedingt und derart hartnäckig mit mir zusammen weiterfahren möchte. Ich werde den Eindruck nicht los, dass er versucht mich so zu manipulieren, dass ich mich ihm anschließe. Ich lasse mich nur sehr, sehr ungerne manipulieren.
Lass mal Toni, ich fahr lieber alleine weiter. Kurz darauf komme ich nach Sidi Rahal. Sidi Rahal gefällt mir auf Anhieb. Ein sehr angenehmer Ort. Da ich es wirklich nicht mehr bis Demnate schaffen werde und ich jetzt doch etwas verunsichert bin, ob ich eine geeignete Zeltstelle finde, beschließe ich in Sidi Rahal eine Unterkunft zu suchen. Leider gibt es hier keine Unterkunft, das bestätigt mir auch die dritte Person, die ich frage. Was nun? Bis Demnate sind es ca. 50 km, ein Taxi bis dahin kostet für mich mit dem Fahrrad 150 Dirham (ca. 15 Euro). So hatte ich mir meinen ersten Tag hier zwar nicht vorgestellt, aber was soll’s. Das Taxi ist eine normale Limousine, mein Rad kommt in den Kofferraum. Das Vorderrad und der Lenker gucken raus, und ab geht die Fahrt. Der Fahrer ist freundlich und macht eine Sightseeing Tour aus der Fahrt. Er sagt mir wie die Berge heißen, die wir sehen, wie diese und jene Gegend heißt und was es da und dort so tolles gibt. Wo im Winter Schnee liegt und wo man nicht mehr durchkommt. Er erzählt mir welche Berberstämme wo leben usw. Er ist sehr bemüht mir das alles zu erläutern, leider verstehe ich kaum ein Wort von seinen Ausführungen, aber er gibt nicht auf, vielleicht redet er auch einfach gerne. In Demnate lässt er mich raus und schwinge mich wieder auf’s Rad. Die Auberge Imi’n’Ifri direkt an der Naturbrücke ist jetzt mein Ziel für heute.
Von Demnate nach Imi’n’Ifri geht es nur noch bergauf. An einem Aussichtspunkt kann ich zusammen mit einigen Marokkanern, die hier mit dem Auto oder mit Mopeds heraufgefahren sind, zusehen wie die Sonne untergeht. Kaum ist die Sonne verschwunden wird es nicht nur dunkel, sondern auch kalt. Im Dunkeln komme ich an der Herberge an.
Hier, in wunderschöner Lage, direkt an der Naturbrücke bekomme ich von einem freundlichen Wirt ein Luxus Zimmer für 100 Dirham angeboten. Der Fußboden ist gemustert, das Muster hat sich über einen langen Zeitraum ganz von selbst entwickelt. Wenn man den Boden putzen würde, wäre diese einzigartige Struktur für immer verloren. Die Matratzen, auf den beiden Betten haben eine ähnliche Geschichte zu erzählen wie der Fußboden, aus zahlreichen Löchern quillt das Innenleben, das bestimmt auch für einen Biologen interessant sein könnte, hervor. Zwei Stühle zieren den Raum. Die Stühle zieren den Raum, es sind Kunstwerke, die nicht zum Gebrauch bestimmt sind. Dort wo man normalerweise bei einem Stuhl die Sitzfläche erwartet findet man nur ein großes Loch. Was der Künstler uns damit sagen möchte bleibt mir verborgen. Die Tür lässt sich als besonderes Feature sogar von außen mit Riegel und Vorhängeschloss abschließen. Von innen hat man die Möglichkeit in das Innenleben der Tür zu schauen. Zu diesem Zweck wurde großflächig das Türfunier entfernt und an anderen Stellen eingedrückt. Der Riegel mit dem man die Tür von innen verschließen könnte ist auch herausgebrochen worden, dass soll vermutlich ein Gefühl von Freiheit vermittlen. Trotz dieser eindrucksvollen Raumgestalltung versuche ich den Spottpreis von 100 Dirham zu drücken und nach zähen Verhandlungen bekomme ich das Zimmer sogar für 80 Dirham (8 Euro).
Da es mir irgendwie gelingt – immer noch, obwohl in Wirklichkeit überglücklich – einen recht unzufriedenen Eindruck zu vermitteln bekomme ich zu meinem Omlett mit Brot, dass ich im ähnlich kunstvoll eingerichteten Kaffee des Hauses einnehme, einen Tee gratis dazu.
Bei den Toiletten, hat der Künstler meiner Meinung nach übrigens etwas übertrieben, ich möchte das jetzt nicht detailliert beschreiben. Man kann halt einfach nicht erwarten, dass alles perfekt ist. Der Wirt ist allerdings wirklich sehr bemüht, mir meinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und wischt schnell noch mal durch und stellt extra für mich sogar einen Eimer Wasser zum Nachspülen daneben. Fließend Wasser gibt es nicht. Elektrisches Licht gibt es in meinem Zimmer, aber auf der Toilette nicht. Gut, dass ich eine Stirnlampe dabei habe, sonst wären nächtliche Toilettenbesuche ein grenzwertiges Erlebnis.